Hans Krankl ::: Wir Österreicher müssen umfallen bis zum Kämpfen!

Die Aufgabe der Kunst
Kunst ist ein Grundbedürfnis. Wie Freiheit, wie Menschenwürde, wie Gesundheit, wie Gleichheit. Und sie muss beschützt und gehegt werden, gelehrt und gelassen.
Kunst ist mehr und kann mehr als kleingeistige Machtmenschen und Marktfetischisten ihr zugestehen wollen. Um ein Labor für Kultur und Gesllschaft zu sein braucht sie allerdings Freiheit. Die Freiheit nämlich, nichts sein und nichts können zu müssen.
Von Andrea Maria Dusl.
Für planet, zeitung für politische ökologie.

Krankl.jpg„Aufgeben tuat ma an Brief“ sagt Hans Krankl gerne, wenn es um Sein oder Nichtsein im fußballerischen Zusammenhang geht. Hans Krankl ist – was viele nicht bedenken – ein durch und durch künstlerischer Mensch. Ich halte ihn, ganz jenseits seiner fußballerischen Kulturleistungen für eines der größten Sprachtalente des Landes und ich meine das nicht zynisch.
Unerkannte Wahrheit
„Wir Österreicher müssen umfallen bis zum Kämpfen!”, sagte Hans Krankl in einem nie gesendeten Interview über den Geist, den die von ihm trainierte Nationalmannschaft haben möge. Das Interview, das im Rahmen der Stermann-und-Grissemann-Show „Harte Hasen“ im Wiener Rabenhof-Theater kommentarlos aufgeführt wurde, und in dem ein leicht beschwingter Hans Krankl noch andere Dadaismen von sich gab, wurde vom ORF, dem öffentlich rechtlichen Sender Österreichs, nicht veröffentlicht. Der Satz des Jahrtausends, das treffendste, je mit Worten gemalte Sprachbild eines Österreichers über die Österreicher wurde nicht veröffentlicht. Über die Gründe dieser Zensur dürfen Mutmaßungen angestellt werden:


Mutmassung Nummer Eins: Hans Krankl war besoffen. Gut gedacht, trotzdem falsch. Hans Krankl trinkt doch nicht! Zudem wäre Trunkenheit am Mikro kein Hinderungsgrund für eine Ausstrahlung gewesen. Statements besoffener Prominenter werden täglich ausgestrahlt, es gibt sogar eine eigene Sendung, die sich überwiegend diesem Genre widmet: Die Seitenblicke.
Zweite Mutmaßung: Hans Krankl hat die Wahrheit ausgesprochen und die ist Österreich in hoher Dosis nicht zuträglich. Auch das mag es nicht gewesen sein, erinnern wir uns nur an den berühmten, die österreichische Wahrheit beleuchtenden Satz des sozialdemokratischen Bundeskanzlers (und vormaligen Kulturministers) Fred Sinowatz, es sei „alles sehr kompliziert“.
Warum also wurde der Sager Hans Krankls, „Wir Österreicher müssen umfallen bis zum Kämpfen!“ unter Verschluss gehallten? Ganz einfach: Weil die verantwortlichen Redakteure die literarische Gewalt dieses Satzes nicht erkannten. Weil, wo nicht Kunst draufsteht, keine Kunst drin sein kann.
Grundbedürfnis Kunst
Warum ich diesen Ausflug in die Sprachkraft Hans Krankls und die Zensurschere in den Köpfen unbedarfter Sportredakteure unternehme? Um das Sprachbild von der „Aufgabe von Kultur“ zu zerzausen und um zu illustrieren, was Kunst alles kann. Kunst kann im illuminierten Sprachzentrum eines Fußballnationaltrainers den Satz des Jahrtausends auslösen.
Mein kleines Besipiel mit dem großen Satz soll noch etwas anderes zeigen: Wahrheit – und nichts anderes als die ultimative Wahrheit ist die Kunst – entsteht unter Rahmenbedingungen die sich jeder modernen Marktheorie verschließen. Und Kunst löst emotionelle Beben aus, die man durchaus als existentiell bezeichnen darf. Und ganz margaretnerisch: „A Aufgabe gibts fir an Brief, aber net fir a Kultur.“ Eine Aufgabe gibt es tatsächlich für die Politik. Eine Hausaufgabe. Mit Zierleiste. In Schönschrift.
Wenn Wahrheit Kunst ist und Kunst Wahrheit, dann hat Kunst keine gesellschaftliche Aufgabe. Kunst muss nur sein. Sie ist ein Grundbedürfnis. Wie Freiheit, wie Menschenwürde, wie Gesundheit, wie Gleichheit. Und sie muss beschützt und gehegt werden, gelehrt und gelassen.
Durch Kulturpolitik zum Beispiel, das schillernde zweite Gesicht der Sozialpolitik. Denn die hat eine gesellschaftliche Aufgabe. Wie Bildungspolitik eine hat. Und Politik im Allgemeinen. Kultur ist also ein gesellschaftlicher Zustand und keine Aufgabe. Sie ist der Austausch von Erlebnissen und erhebt den Anspruch, alleine dem Erzeugen, Tauschen und Erfahren von Lust zu dienen. (Den Begriff Lust müssen wir nur weit genug über den Horizont unseres eigenen Lustkatalogs aufspannen.) Unter diesem – nun weit – ja sehr weit – aufgespannten Begriffsschirm hat die Lust einer wohlhabenden – aber meist passiven Schicht genauso Platz, wie die produktive und partizipierende der wirtschaftlich weniger gut dotierten. Der Schirm dieser Lust kann also durchaus auch das Fußballstadion sein, in dem ein angedudelter Nationaltrainer den besten Satz der letzten tausend Jahre sagt.
Macht muss behübscht werden
Dass Kulturschaffende – wenn Sie nicht nebenbei als Nationaltrainer jobben – oft mittellos sind, hat weniger mit Marktprinzipien, als mit vertrottelter Kulturpolitik zu tun. Geld ist nämlich genug im Land, Geld wäre für alle da. Auch für nichtnationalmannschaftstrainierende Nichtfußballer. Das Geld, das da wäre, wird allerdings in Fonds und Stiftungen verstaut oder in Schneemaschinen und Upgradings. Alles Lügengebilde, wie wir wissen, weit entfernt von Wahrheit.
Kulturpolitik ist, so behaupte ich jetzt einmal, ein Spiegelbild der Sozialpolitik. Wo diese versagt oder verkümmert, wird Kulturpolitik zur Dekoration und zur Behübschung von Machtdemonstration degradiert. Im wörtlichen Sinn. Früher waren es Flügelaltäre, heute sind es Seebühnen. Behübschung ist zwar noch immer Kultur, darf aber als ein Alarmsignal undemokratischer Zustände verstanden werden.
Wir sprechen also von der Verbankfoyerisierung der Kunst. Kunst wird wie eine Ware – oder wenn es hochgeht, als Kursentwicklung – betrachtet und realen oder imaginierten Marktprinzipien unterworfen. In Rahmen gepresst, in Vorstandsetagen und Vorortevillen gehängt, auf Festivalbühnen festgezurrt. Das ist erstens unfair und zweitens dumm. Kunst kann nämlich viel mehr, als hübsch zu sein, viel mehr noch, als wahr zu sein.
Kunst ist ein Labor, in dem Zukunft entworfen wird.
Kunst ist ein Entwicklungslabor der Gesellschaft.
Wer Kunst sät …
Strenggenommen ist alles vom Besuch eines McDonalds-„Restaurants“ bis zum Inszenieren einer avantgardistischen Tanzperformance ein kultureller Vorgang. Ein Lustvorgang. Die Erfahrung von Lust lässt sich durchaus verfeinern und entnormen. Das Theater, zum Beispiel, beschäftigt sich seit mehreren tausend Jahren ausschließlich damit, Sprache und Bewegung zu Dehnen und zu Stauchen und mit einem hochkomplexen Instrumentarium in Lustvorgänge zu verwandeln. Film, hat in nur hundert Jahren geschafft, mit bewegten Bildern Raum und Zeit zu überwinden und die Planke zwischen eigener und kollektiver Erinnerung einzureißen.
Muss sich Kunst rechnen? Nein. Sie darf, sie muss aber nicht. Was heute in der extremen Avantgarde, für eine Handvoll oder gar weniger Zuschauer entworfen wird, wird in dreißig, vierzig Jahren zum Standardrepertoire des Mainstreams gehören.
Wer Kunst sät, wird Kultur ernten. Für alle, die aus der Wirtschaft kommen und diesen Satz nicht verstehen: „Wer Kunst sät, wird Kultur ernten.“ heißt soviel wie: „Am Ende kommt Geld heraus. Die Rendite ist kolossal.
… wird Kultur ernten
Wie gesagt: Kunst ist ein Labor, in dem Zukunft entworfen wird. Die Zukunft des Sprechens, des Hörens, des Bewegens, die Zukunft jeglicher, ja sogar der noch ungedachten Lust. Jeder Versuch, dieses Labor kleinzuhalten, wird in einer kleinen Gesellschaft enden. Die Erzeugnisse dieser Labors, so klein oder so groß, so breitflächig oder extrem sie auch ausfallen mögen, müssen weiterentwickelt und konkurriert, begleitet, taxiert und archiviert, publiziert und ausgestellt werden. Mainstream und Avantgarde sind kommunizierende Gefäße. Im Mainstream wird die Kohle zusammengschaufelt, die die Avantgarde verheizen dürfen muss.
Oder, um zu meinem Anfangsbeispiel zurückzukehren: Um in Hans Krankl den kleinen Satz, den Satz der Sätze: „Wir Österreicher müssen umfallen bis zum Kämpfen!“ keimen zu lassen, darf man ruhig ein riesiges Stadion unterhalten und darin teuere und unbegabte Kicker herumgurken lassen. Für einen Satz dieser Kraft ist kein Unsinn zu teuer.
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planet – www.planet.gruene.at

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