The Channel 8 Diaries ::: Artsy Piter

Iwa-Nova.jpgDas Flex von Sankt Petersburg ist die “Fishfabrique”. In dem kleinen Club im Keller des autonomen Kulturzentrums “Pushkinskaja” spielen die angesagten Bands. Gestern war das die fünfköpfige Girl-Band “Iwa-Nowa”. Iwa-Nowa klingen so, wie die Leningrad Cowboys klingen würden, wenn sie nicht mit dem Testosteron-Wodka-Problem zu kämpfen hätten: Munter und aufgeweckt. Möglich, das man Fishfabrique eigentlich Fischfabrik schriebe, so wie den ursprünglichen Off-Off-Club in der alten, von Künstlern besetzten Pushkinskaya.

Aber eigentlich war ich ja schon vorgestern in der Pushkinskaya. Gegenüber vom Moskauer Bahnhof liegt die Einfahrt zur neuen Pushkinskya. Über ein seltsames, von Plakaten verpicktes Betongatter im Hinterhof kommt man in einen bunkerartigen Kellervorraum, der während der Belagerung im zweiten Weltkrieg wahrscheinlich tatsächlich ein Bunker war. Also da mal durch und dann gehts wieder in einen Hinterhof, an einem Türl vorbei, in dem der Petersburger John-Lennon-Gedenk-Verein tagt. In Permanenz, in eine „Give-Peace-a-Chance“-Dauerwolke eingenestelt. Wir hasten ein paar saubere Stockwerke hoch und läuten an einer Metalltüre. Ein Schuhmuseum. Schuhe und Stiefel müssen nicht ausgezogen werden. Juhu. Es gibt nichts demütigenderes, als Laschschlappen aus Frottee, zwei Nummern zu klein, mit Loch im grossen-Zeh-Bereich. Nur die Bauern ziehen ihre Schuhe aus zu Besuch. Weil ja am Bauernstiefel immer ein Teil vom Misthaufen klebt.

Oleg-Maslov.jpgDurch den Gang und ins Zimmerchen von Oleg Maslov. Oleg ist Maler und hat arbeitet in diesem Atelier. Oleg hat ein Gesicht, dem von Putin nicht unähnlich. Oleg hat sogar im Palast von Putin Dekorationen gemalt. Ob sich ihre Gesichter dort angenähert haben? Auf jeden Fall malt Oleg grosse Schinken nackter Männer, nackter Buben, nacktnackterer Frauen und nackter Raubkatzen, die in antikisierenden Tableaus arrangiert sind. Oleg wird einen der Vernissage-Künstler darstellen, die ich mir für Anastasijas schiefgehenden Uhrenklau ausgedacht habe. Oleg hat einen Malpartner, der Viktor heisst. Das ist insoferne ideal, als ich mir auch das ausgedacht hatte. Dass der Malpartner Viktor heisst, gefällt mir, weil ich mir dann für „Viktor“ keinen Namen ausdenken muss. Die webpage von den beiden liegt auf http://www.olegandviktor.com/ Klickablen Link setze ich, wenn das posten billiger ist und nicht über Handy und Satellit läuft. Und zwar jetzt >>> www.olegandviktor.com

Zu Oleg haben mich die Konenkos gebracht. Oleg mag mich und ich mag ihn, das macht alles sehr einfach. Am Boden sitzt ein feuriger Russe aus Moskau, der nur französisch spricht und crazy Masken macht. Für Luc Besson zum Beispiel. Für Taxi. Die Masken für den Überfall, sagt er. Den mag ich auch. Er heisst Gosha Ostretsov und er ist deswegen so feurig, weil er halber Georgier ist.

Metro-Vosstania.jpgSo. Und weil wir uns alle mögen, nehmen mich Oleg und Gosha schnell mit zu einer seltsamen Performance. Wir haben sehr viel Spass im Shuttle-Bus, der über den Newski brettert. Eine dicke blonde Dame SMSt und lacht sich dabei fast von der Sitzbank. Erst nach ein paar Minuten werde ich feststellen, dass sie über uns lacht, über genau UNS. Weil wir uns in einem wirren Mischmasch aus Englisch, Russisch, Deutsch, Französisch und Italienisch unterhalten. Sowas hat die dicke Blonde in ihrem ganzen dicke-Blonde-Dasein noch nicht erlebt, wird sie Oleg gleich erzählen. Und weil mein Russisch dazu nicht reicht, wird es mir Gosha in seinem Anglofranzösisch explanieren. Vielleicht ging es auch um etwas ganz anderes. Wie würde man da je Sicherheit erlangen?

Die Performance in einer von Soros oder Ford restaurierten Kasematte der Sankt-Peter-und-Pauls-Festung handelt von fliegenden Handies, deren Displays im Dunklen leuchten und mit Klingeltönen zirpen, wie singende Hightech-Glühwürmchen. Während der Performance verliere ich meine Geldtasche mit dem Kleingeld und den Zeh-Rubel-Scheinen. Ich finde diese Performance sollte so einen Verlust rechtfertigen.

Am Abend kommt Anastasija zum Tee zu mir. So ist das in Sankt Petersburg. Auch ein Einzelzimmer im Oktober-Hotel kann ein Salon sein.
Ich entsinne mich, dass ich am nächsten Tag wieder was mit den Konenkos gemacht habe. Ach ja, wir waren in der südlichen Vorstadt, irgendwas mit „U“ oder „IO“, am Flohmarkt. Hier werden die Handies verkauft, die in Holland, Deutschland und bei uns „verloren“ werden. Irgendwo gibt es auch einen grossen Markt, wo die BMWs und Mercedes vercheckt werden, die in München und Berlin „verloren“ gehen. Zwischen den Handy-Pavillons sind CD- und DVD-Pavillons. Hier gibt es Hollywood-Filme auf DVD, die in den USA noch nicht einmal im Kino waren. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, meinen eigenen hier reinzustellen. Nur, um zu sehen, wie schnell er sich multipliziert.

Newski-Blue-Light.jpgAbends treffe ich Galina, die Drehgenehmigungen organisiert. Ganz gegen meine telefonische Intuition ist sie durchaus seriös und von ausserordentlicher Auffassungsgabe und radikaler Gedankenschnelle. Ich frage also nach ihrer Familiengeschichte, mal in der Annahme, ihre Leute stammten aus aus den Klaviermetropolen Odessa oder Lemberg. Stammen sie aber nicht, sie sind alle von hier. Auch der Pridnig ist hier, Klaus Pridnig der mein Regieassistent war in Blue Moon. Klaus hat jetzt eine Filmfirma in Kiev und ich finde das sehr gut. Ich finde das passt. Galina hilft ihm eine ÖMV-Motoröl-Werbung zu organisieren. In Murmansk. Weil es dort verdammt kalt ist. Klaus und ich haben uns gut verstanden. Das macht mir die Erinnerung an seine Arbeit bei mir süss, die doch oft an Unterzucker litt.

Heute war Mädchentrefftag. Erstens war ich nach langer Suche endlich bei Natalja, die in einem grossartig meschuggenen Riesenatelier im Kamenoostrovsky Prospekt lebt. Mit ihrer kleinen Tochter und ihrem Mann Kirill. Kirill macht kleine, unfassbar witzige Animationsfilme. Natalja verfolgt seit zehn Jahren ein Performance-Projekt, das „gefundene Kleider“ heisst. Mit den gefundenen Unter-Kleidern aus den 1910ern haben sie und ihre Performance-bessere-Hälfte schon den Freitod einer traurigen russischen Dichterin nachgestellt und sind dazu gemeinsam in die Moika gesprungen. So habe ich das jedenfalls verstanden.

Lena.jpgSo wie sich die Computernerds aller Kontinente verstehen, egal ob sie aus Venezuela, Burundi oder Dänemark kommen, so verstehen sich die meschuggenen Artisten der Welt. Das ist wie im Zirkus. Trapez ist Trapez, Feuerreifen Feuerreifen, Jonglierteller Jonglierteller. Aus meinen Begegnungen mit Oleg, Gosha, Natalja und Kirill rechne ich mir zusammen, dass ich vermutlich von aussen auch zu den meschuggenen Artisten gerechnet werden muss. Na umsonst wird die dicke Frau nicht im Transittaxi vom Bankerl gefallen sein vor Lachen.
Und grad eben habe ich dann noch Lena getroffen, die Bassistin von Iwa-Nova. Sie ist Mathematikerin. Und Bassistin. Und sie hat einen Löwen auf dem linken Oberarm. Lena mag ich sehr.

2 Gedanken zu „The Channel 8 Diaries ::: Artsy Piter“

  1. Ja, so ist das hier und noch viel soerer. Leider geht sich bei meinem straffen Erlebnisprogramm nicht mehr Zeit fur posten und bewerten aus. Das ist aber auch ganz gut so, weil sich meine Abenteuer im nachsten Film sedimentieren werden.

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