Sieben Zwerge

Napoleon war einer. Lenin auch. Die Welt der Macht ist voll kleiner
Männer. Statt sich um Schneeewittchen zu kümmern, sind sie überall.
Die Zwerge.

© Andrea Maria Dusl
geschrieben für Peter Praschl’s Sofa und den Falter

Franzjosef.jpgKaiser Franz Josef
Es war sehr schön…

Franz Josef Prohaska, wie ihn die Tschechen nannten, der längstdienende Monarch des Kontinents, der erste Beamte seines Staates, war von elfenhafter Kleinheit. Könnten wir uns nur auf zeitgenössische Berichte und geschöntes Fotomaterial verlassen, die Sache wäre höchst dubios. Kaiser werden ja nicht vermessen. Und Polizeiakten der höchst majestätischen körperlichen Daten dürften auch nie angelegt worden sein. Trotzdem wissen wir, daß Sisis Göttergatte ein Zwerg war.
In der Stoffsammlung der weltlichen Schatzkammer zu Wien befindet sich jener winzige Uniformrock, den Kaiser Franz Josef anhatte, als ihn, während eines Spaziergangs auf dem Glacis, ein eifersüchtiger junger Ungar dadurch zu ermorden trachtete, daß er ihm mit einem Messer an die Gurgel fuhr. Allein der steife Kragen des Monarchenrocks vereitelte das Attentat und führte zum Bau der Votivkirche, einer ausgewachsenen französischen Kathedrale, die Franz Josef aus Dankbarkeit am Tatort errichten ließ (der Ungar wurde trotzdem hingerichtet).
Der Grund für den Mordversuch war zutiefst bürgerlich, ja geradezu erdverbunden: Franz Josef, der gerne und begabt dem weiblichen Personal nachstellte, hatte die Schwester des Attentäters „entehrt“, ohne ihr dafür die Ehe anzubieten. Daß der Kaiser ein Zwerg war, kann ich bestätigen. Der Original-Attentatsrock aus tuntigrosa Samt ist so klein und eng geschnitten, daß grade mal eine elfjährige indische Tempeltänzerin hineinpassen würde.
Bacher.jpgGerd Bacher
Der Tiger

Viele da draußen in Deutschland, wie es bei uns hier drinnen in Ösenland gerne heißt, also viele da bei Euch in Deutschland fragen sich, woher denn das kommt, daß in jedem deutschen Privatsender ein Ösi sitzt, und woher denn das kommt, daß die so verdammt erfolgreich sind mit Fernsehmachen, wo sie doch aus einem Land kommen, das mit Fernsehen, also mit richtigem Fernsehen rein gar nichts am Seppelhut hat. Nun, die ganzen dicken Ösis, die Eure Privatsender regieren, liebe Deutsche, sind allesamt durch die harte Schule eines kleinen, aber höchst durchsetzungsfähigen Mannes gegangen.
Dieser kleine und höchst durchsetzungsfähige Mann war Gerd Bacher (er ist jetzt in Pension und hat so mehr Zeit für Sex als früher). Niemand nannte Gerd Bacher zur Zeit seiner größten Wirkung Gerd Bacher. Alle nannten ihn Tiger. Tiger, weil er so viele Sommersprossen hatte, daß sie ein Tigermuster auf seiner teigigen Haut erzeugten. Der Tiger war mehrere Jahrhunderte lang der Generalintendant des Österreichischen Rundfunks, des ORF (Oahr-Er-Äff ausgesprochen), jenes Staatsfunks, der mächtiger ist, als das Pentagon und der Vatikan zusammen (mit beiden pflegte Tiger Bacher daher auch rege Kontakte). Tiger Bacher war berühmt für seine bizarren Wutanfälle, für seine gnadenlose Durchsetzungsfähigkeit und für seine beinharte konservative Note.
In Tiger Bacher wohnte aber nicht nur die Kraft einer indischen Riesenkatze, sondern auch die Bosheit des Rumpelstilzchens. Als eine Sekretärin einmal arglos ihren kleinen Fiat auf die riesige freie Fläche neben dem Hauptportal des ORF-Zentrums am Wiener Küniglberg parkte, riß dem Generalintendanten die Hutschnur: Er stach mit seinem Taschenmesser alle vier Reifen des kleinen Sekretärinnen-Fiat auf. Was aber hatte den Fernsehmogul so erzürnt? Die Alleinerzieherin hatte es gewagt, innerhalb einer fünfzig Meter breiten heiligen Fläche zu parken, die einem ungeschriebenem Gesetz zufolge alleinig dem dicken Benz des Gerd Bacher zustand. Wetten, daß die großen Fernsehbosse bei Euch alle kleine Taschenmesser am Schlüsselbund haben? >>>


>>> und weiter geht’s mit klein.
Schroeder.jpgGerhard Schröder
Der Showmaster

Den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland kenne ich dafür persönlich. Das kam so:Als es in Österreich noch eine Regierung gab, die auf EU-Fotos abgebildet werden durfte, gab es ein jährlich wiederkehrendes gesellschaftliches Ereignis, das
sich „Kanzlerfest“ nannte. Zu so einem Kanzlerfest waren Krethi, Plethi und etwa 5000 Künstler und Politiker, Kaufleute und Journalisten eingeladen. Und Lisa und ich.
Lisa und ich waren einerseits aus schlichter Neugier dort und andererseits weil wir uns Einladungen zuschanzen hatten lassen, die eigentlich für wichtigeres Publikum als uns gedacht waren. Lisa und ich hatten Cocktailkleider an, die modediktatorisch nach Schuhen schrien, die für Kieswege und
Rasenziegel völlig ungeeignet sind. Lisa und ich standen daher den ganzen langen Abend mehr, als dass wir gingen, auch um in Stöckelweite der Tische mit den köstlichen Häppchen zu bleiben. Hinter den Tischen mit den köstlichen Häppchen wogte ein Fliederbusch im kühlen Frühsommerabend. Und hinter dem wogenden Fliederbusch standen große Männer mit dicken Hälsen, dunklen Sonnenbrillen und mit Kabeln im Ohr. Und hinter diesen saß der Kanzler der Republik Österreich, der Sozialdemokrat Viktor Klima, und plauschte mit Dichtern und Denkern, mit dem Mahr-Hansi, mit dem Heller-Franzi und mit einem kleinen, breiten Kerl. Viktor Klima hatte zwar oft den Mahr-Hansi bei sich, aber selten Männer mit dicken Hälsen und auch keine kleinen breiten Kerle. Während wir also so sannen, was es wohl mit diesen Männern auf sich haben mochte, ging plötzlich enorm viel Licht an, auf der Kanzlerseite unseres Fliederbusches.
Fernsehlicht.
Lisa und ich wurden nervös wie Goldfische, wenn das Wasser knapp wird, und versuchten, ein Plätzchen an einem der weniger prominenten Fliederbüsche zu finden. Vergeblich.
Fernsehen ist schneller als Girls in Cocktailkleidern und unbeugsamen Pumps. Lisa und ich lachten in Kameras. Licht blendete, und irgendwie roch es nach glimmender Lunte. Etwas ganz, ganz Dickes lag in der Luft. Lisa und ich sahen einander an, und ein Gedanke brannte durch unsere Hirne: Nicht wir, lieber Gott, bitte nicht wir! Und während wir so beteten und Gedanken in unseren Hirnen brannten und Licht sich in unser dezentes Make-up grub, sahen wir ihn. Einen kleinen Mann, mehr breit als hoch:
Gerhard Schröder.
Lebend.
In Echtzeit.
Von Kameras beäugt, von Tausenden Kilowatt Licht bestrahlt und von Henkern mit Kabeln im Ohr beschattet. Und dann ging alles ganz schnell. Der Mittelpunkt der deutschsprachigen Politik stand vor uns. Ein kleiner Mann, mehr breit als hoch, mit einem Lächeln aus Keramik, mit einer Stimme wie der Synchronsprecher von Sean Connery. Das Lächeln kam näher, eine Hand packte zu wie ein Schraubstock, zerdrückte die meine wie ein Bündel frischgekochten Spargel, und die Synchronstimme von Sean Connery sagte:
„Gerd Schröder. Guten Abend. Wie gehts?“
So war das. Lisa und ich brauchten zwei Stunden, bis wir unsere Hände wieder verwenden konnten.
Peichl.jpgGustav Peichl
Ironimus vobiscum

Gustav Peichl ist so etwas wie eine nationale österreichische Institution. Wann immer in Österreich „Zeitgeschichte“ oder „Baukunst“ geschieht, wird der quirlige kleine Mann mit den runden schwarzen Brillen und dem rosaroten Schal um seine Meinung gefragt. Gustav Peichl ist „die“ akademische und ästhetische Autorität in Sachen Spannbeton und Tagespolitik, denn er hat immer die gleiche Meinung: Die Baukunst liegt im Argen, weil die Architekten allesamt Nieten sind, und die Politik liegt im Argen, weil die Politiker allesamt Witzfiguren sind.
Gustav Peichl kennt sich da aus. Er ist Architekt, und er ist „Karikaturist“ (er „zeichnet“ täglich „Karikaturen“ für „die Presse“, eine regierungsfreundliche, und nicht nur deshalb völlig humorfreie und stockkonservative Tageszeitung). Sein nom du guerre als krixelndes Gewissen der Nation ist „Ironimus“.
Pacino.jpgAl Pacino
Der Duft der Pfauen

Al Pacino kenne ich natürlich nicht persönlich, aber er hat eine Stimme, die bei mir südlich des Bauchnabels große Wirkung erzeugt. Strenggenommen kann Al Pacino gar kein Zwerg sein, so groß ist sein Talent als Verführer. Al Pacino verführt sogar, wenn er absolute Nobody-Idioten spielt. In einem meiner Lieblingsfilme, „Dog Day Afternoon“, spielt er einen arbeitslosen Hektiker, der mit seinem besten Freund eine Bank überfällt. Dabei geht mehr schief als überhaupt schiefgehen kann, und die Sache endet ganz und gar unglücklich. Wie der kleine Italiener es schafft, auch in den allerschlimmsten Michael-J.-Fox – würde-sich-jetzt-in-die-Hose-machen – Situationen als absoluter Volksheld von der Leinwand zu strahlen, ist bis auf Clint Eastwood ganz Hollywood ein Rätsel.
Schuesselklestil.jpgWolfgang Schüssel
Yes, Sir, I can boogie…

Der Mann, den sie Kanzler nannten. Der Wendehals ist in Österreich nur bei Bademeistern, Trafikanten und Gymnasialdirektoren populär.
Menschen seines Schlages heissen in Wien „Ungustl“. Mein Freund, der Dissident Doron Rabinovici, nennt Wolfgang Schüssel in Anspielung auf seine fragile Statur gar den „Millimetternich“.
Die Identifikationsliteratur des machtlüsternen Krispindels an der Spitze des geächteten Staates ist Saint Exuperys „Der kleine Prinz“. This is not a joke.
HaiderKlestil.jpgJörg Haider
Die Schwester

Über den Burschen vieler Aufregungen muss man nicht viel Worte verlieren. Der rechtsradikal-rechts-populistisch- revisionistisch-opportunistische Biertisch-Scientologe ist noch ein paar Zentimeter kleiner als Wolfgang Schüssel. Bei Interviews steht er auf Schemeln, und im Fernsehstudio sitzt er auf Telefonbüchern.

Kleine Bonusgeschichte:
Schüssels Wolfgang

Anfang 2000 stand die Welt Kopf in Österreich. Der Christdemokrat Wolfgang Schüssel hatte die Wahl verloren, es sich aber in den Kopf gesetzt, gegen den Willen Europas Bundeskanzler zu werden. Das wäre nur möglich, wusste man, wenn Schüssel einen Regierungspakt mit dem neopopulistischen FPÖ-Gott Jörg Haider einginge. Wenn er ein Tabu bräche, das bislang als unbrechbar gegolten hatte.
In dieser brisanten Zeit, die von aufwühlenden Demonstrationen und gefährlichen europäischen
Warnungen begleitet wurde, war nichts mehr in Schnitzelland, wie es vorher gewesen war.
Eines jener wilden Tage Abends schickte sich die gesamte Spitze der Volkspartei um Wolfgang
Schüssel an, mit der gesamten Spitze der Freiheitlichen um Jörg Haider einen Pakt auszuhecken.
Aus ganz Europa waren Fernsehteams angereist, um live zu berichten. Sogar Alessio Vinci, der sonst
nur Bombenangriffe und Invasionen live zu reportieren pflegte, stand, für CNN entsetzt nach Worten
ringend, vor der Hofburg.
Das Parlament, wo die Zukunft des Landes verhandelt wurde, glich einem Bienenstock. Es war gerammelt voll mit internationalen Journalisten, Kameraleuten, Pressesprechern und Tontechnikern.
Nirgendwo auf der Welt befanden sich in diesen Stunden mehr Kameras als hier. Und nirgendwo
wurde die Spannung so unerträglich wie in dem langen, von Hunderten Medienvertretern belebten
Zimmer im Parlament. Lange ließen die beiden Parteichefs auf sich warten und eine Hoffnung schwitzte sich durch das wartende Journalistenvolk: „Tja, wenn das so lange dauert, dann ist das
Ding wahrscheinlich geplatzt!“
Ich hatte mich für diesen Abend des Abscheus mehr aus persönlichem denn beruflichem Interesse akkreditieren lassen und saß in der zweiten Reihe jenes mit all den Kamerateams voll gestopften Parlamentspressekonferenzzimmers. Wie all die anderen wartete ich auf die beiden Paktierer, wartete auf Wolfgang Schüssel und auf Jörg Haider. Ein kleiner Tisch war auf abgewetztem roten Teppich aufgebaut worden, dahinter spannte sich ein Transparent, auf das ein riesengroßes Bild des Parlaments gedruckt worden war. Garniert war die Szene mit den bei solchen Anlässen beliebten eingetopften immergrünen Büschen. Der Tisch selbst war spartanisch gedeckt: Zwei Mikrophone und
zwei Glas Wasser waren aufgestellt. Und zwei Schilder mit den Namen der beiden Verhandler:
„Schüssel“ stand auf dem einen. „Haider“ auf dem anderen. Ein paar Tontechnikern war inzwischen fad geworden. Sie ulkten herum, spielten „Schüssel“ und „Haider“, wie die Zwerge Schneewittchens lümmelten sie sich in Haiders Sessel, nippten von Schüssels Wasser. Das war schon sehr irreal und seltsam. Großes, Niedriges lag in der Luft. Geschichte wurde spürbar.
Nach elendsvielen Stunden rumorte es plötzlich, und in einem Blitzlichtgewitter schoben sich zwei
Trauben von Entouragen aus der Türe hinter dem Tischchen. Das Blitzlichtgewitter wurde leiser, und
es setzten sich zwei sehr kleine Männer. Man hatte gewusst, dass beide, Schüssel wie Haiders
nicht gerade das Gardemaß erreichten, aber dass sie so klein waren, schockierte richtiggehend.
SchuesselHaider.jpgDie beiden hatten gerade mal die Größe von Buben, die mit gefälschten Schülerausweisen und auf Zehenspitzen um Kinokarten für brutale Filme anstehen. Das sollten die Männer sein, derentwegen Europa rotierte? Während die beiden ihr langweiliges, aber inhaltlich doch beunruhigendes Papier verlasen, legte sich bleierne Ruhe über den Saal. Mein exklusiver Sitzort in der zweiten Reihe sollte es zulassen, nicht nur dem Gerede zu lauschen, sondern auch die Kleidung des zukünftigen Bundeskanzlers und seines neuen Freundes zu studieren.Jörg Haider, der damals noch die Rolle des gefährlichen Politdämons spielte und der es als Europas Erzbösewicht bis aufs Cover von Newsweek geschafft hatte, war geschminkt, aber unrasiert, und er trug das Zeug, das damals auch die Scientologen trugen:Werbefuzzikluft. Schwarz und teuer.
An Wolfgang Schüssel gefielen mir die dunklen Weichlederschuhe. Ihre Kreppsohle bog sich leicht nach oben, und sie waren ganz offensichtlich nicht mehr die Jüngsten. Dazu trug Schüssel kurze und von häufigem Waschen ausgeleierte Schlappsocken. Ihre Bündchen endeten kurz vor dem Hosenbein,
sodass eine handbreite blitzende Lücke entstand – „the Gap“, wie die Fachleute sagen. The Gap erlaubte einen ungeschonten Blick auf Schüssels schütter behaarte Beinchen.
Das war schon sehr intim.
Weil nun der Tisch, an dem Schüssel und Haidersaßen, keine Blende hatte, wie sie sonst bei staatstragenden Tischen üblich sind, hatte das Publikum freie Sicht auf noch Intimeres, auf die Vorgänge unter Tisch:Wolfgang Schüssel, der die Beine leger und im flachen Winkel vor sich aufgestellt hatte, hielt, wenn er gerade nichts zu sagen hatte und sein Partner Haider sprach, die Linke locker zwischen den Beinen. Und jetzt kam es:
Schüssel kratzte sich am Wolfgang!
Mehrmals und vor den Augen der Weltpresse! Seine Mundwinkel machten dabei kleine glückliche Grübchen, wie man sie von Ministranten kennt, wenn sie die Glöckchen läuten. Selten habe ich etwas gesehen, das österreichischer gewesen wäre.
all © Andrea Maria Dusl
geschrieben für Peter Praschl’s

Sofa und den Falter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert