Sieben Platten für ein ganzes Leben

Sieben Platten für ein ganzes Leben, oder was ich am 27. Jänner 2000 dafür hielt.
JimiHendrixjpgJimi Hendrix
Electric Ladyland

In Österreich hält sich hartnäckig die Theorie, Jugendliche, die in den 70er-Jahren aufwuchsen, hätten sich im wesentlichen nur zwischen den antipodischen Boygroups „The Beatles“ und „The Rolling Stones“ entscheiden dürfen. Die Schwiegersöhne aus Liverpool hätten demnach eher der konservativen Klientel unter den Pubertierenden jener Zeit, die rollenden Drogisten um Mick und Keith dagegen dem Fan-Lager proloider Kids aus industriellem Ambiente „gehört“.
Diese Theorie ist grundfalsch, weil sie nämlich nicht berücksichtigt, daß ein wuschelköpfiger amerikanischer Hippie derweil Musik aus einem anderen Universum machte. Noch dazu mit links. Und daß es auch im sozialpartnerschaftlich organisierten Österreich möglich war, sich jenseits aller gängigen Musik-Benimmregeln für einen wirklichen Helden zu entscheiden.
Dieser zerbrechliche Titan hieß Jimi Hendrix. Sein Talent war nicht von dieser Erde (weswegen Jimi auch bald in seine Heimat zurückgekehrt ist). Electric Ladyland ist eine der Scheiben, die bei mir Gänsehaut auslösen. Schon der Gedanke daran führt bei mir zu elektrischen Freudenschauern. Jimi!
LedZeppelin.gifLed Zeppelin
Houses of the Holy

Seltsamerweise gilt es sogar in aufgeklärten Kreisen nicht gerade als schick, diese Musik aus dem Jura des Hard Rock zu hören. (Selbst Led Zeppelin- Afficionados greifen dieses Album nur mit äußerst spitzen Fingern an.)
Mein absoluter Lieblings-Song auf dem ganz und gar wunderbar zusammengebastelten Album ist „D’yer Mak’er“, ein bluesig-karibisches Liedchen, das mit einem in Richtung Ben E. King zielendem Riff beginnt und dann in einen hypnotischen Reggae-Off-Beat schlingert. Ich habe einmal >>>


>>> eine Filmszene geschrieben, in der der tragische Held in einer oberitalienischen Bahnhofsrestauration „D’yer Mak’er“ in der Juke-Box anwählt. „D’yer Mak’er“ hat für mich exakt jenes feeling, das ein warmer, nach Eisenbahnschienen und Stationsasphalt riechender Sommerfrühmorgen in einem Umsteigebahnhof in der Poebene auslöst.
Natürlich sind um diesen Song herum jede Menge andere gute Songs auf der Platte verteilt. Die meisten von ihnen höre ich aber eher zu Nebel oder leichtem Nieseln. Sunny side up, geradezu „sizily“ ist nur „D’yer Mak’er“.
Wendy&Lisa.JPGWendy & Lisa
Fruit at the Bottom

Prince hat genau einen Welthit geschrieben und justament der stammt aus der Feder von zwei Frauen. Wendy und Lisa, die Töchter von astreinen Jazzmusikern waren einst side-women des Artisten, der heute als Le Symbol bekannt ist. Der Song, den sie damals für ihren kleinen Freund schrieben, heißt Purple Rain. Das sollte als Empfehlung eigentlich genügen.
Wendy and Lisa sind inzwischen Girl Brothers und vielbeschäftigt, denn sie stehen pausenlos im Studio, um meine Lieblingsmusik einzuspielen.
JohnnyGuitarWatson.jpgJohnny Guitar Watson
Ain’t that a Bitch

Niemand auf Gottes soulgetränkter Erde hatte einen Daumen wie Johnny G. Sein Funk war so fat und gleichzeitig so laid back, daß es niemand auch nur den Versuch wagte, ihn zu imitieren.
(Frank Zappa soll nur seinetwegen überhaupt zum Gitarrespielen begonnen haben).
Johnny Guitar Watson war musikalisch so black, daß sich sogar ein Hohepriester des Soul wie James Brown neben ihm wie ein braver Finne ausmacht.
MilesDavis.jpgMiles Davis
Bitches Brew

Es ist wenig bekannt, daß auf diesem epochalen Fusion-Album der Schulfreund des österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil das Fender-Rhodes bedient (ein gewisser Joe Zawinul aus Wien-Erdberg).
Bitches Brew ist die Mutter des elektrischen Jazz.
Ich stelle mir da beim Hören immer eine dunkle und warme Halle von enormen Ausmassen vor, und daß Miles, Wayne Shorter, Joe Zawinul und John McLaughlin ständig Durst hatten, aber vor „electrissement“ nie zu einer Pause fanden. Für dieses Bild ist erforderlich, daß es in der Garderobe von Miles Unmengen von Light-Beer und Sprudel gab, aber irgendwie nie einer Zeit fand, mal schnell rauszugehen, um ein Fläschchen zu holen. Bitches Brew: ein Album wie durstig.
JoniMitchell.jpgJoni Mitchell
Chalk Mark in a Rain Storm

Ich bin sicher: Wären wir gemeinsam in die Schule gegangen, Joni wäre meine beste Freundin gewesen. Und vermutlich hätten wir uns dann in denselben saxophonspielenden Mustangfahrer verliebt und wären ewig (2 Wochen) böse auf einander gewesen. Und irgendwie ist Joni seit Jahrzehnten sowas wie die Mutter aller Songwriter.
Ein gewisser Springinsfeld mit Namen Bruce ist nur der Boß.
Nichts gegen eine Mutter wie Joni.
FrankZappa.gifFrank Zappa
In New York

„We are only in it for the money“, log FZ. In Wirklichkeit war er wegen Strawinsky und Ficken im Business, wie sein Trommelmann Terry Bozzio auf dem wenig jugendfreien Live-Take von „Titties and Beer“ bekannte.
„Zappa in New York“ habe ich mir 1978 in Sichtweite der Wiener Oper gekauft. In einem Plattengeschäft namens Hannibal, das damals ungeheuer hip war, weil es – jedenfalls habe ich das so in Erinnerung – ein Dutzend Vorspielautomaten mit Tangentialarmen hatte. Hängende! Hängende Vorspielautomaten mit Tangentialarmen! In Kopfhörern des hippen Hannibal hörte ich zum erstenmal Jazz, der nicht klang wie alte Herrenhosen in die jemand Lulu gemacht hatte. Jazz, der sich gar nicht wie Jazz anhörte, sondern einfach und kompliziert, sozusagen grundgut war. (Ich habe mir in Folge der Verehrung für dieses Album sogar sämtliche Alben der Brecker Brothers gekauft.)
Eindeutig großartig fand ich das Design des Doppelalbums. In einer Zeit, in der Platten noch groß und schwarz waren, transportierten auch Plattencover eine Message. Die Message war ungefähr die: Wir sind jetzt hier in New York, gleich beginnen die Achtziger und da machen wir noch schnell ein paar Dinge, die wir gut können, bevor alle anfangen, sich die Haare blau zu färben und Ska auf Heimorgeln zu spielen.
Das absolute Higlight von FZINY (so heißt die Platte unter Auskennern) sind die beiden letzten Nummern, BP und TPL, der meisterhaft anspruchsvolle Zappa-Standard „Black Page“ und das rhythmische Fusion-Minenfeld „The Purple Lagoon“.
„The Purple Lagoon“ ist absolut camp.
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Bonus-Platte:
Bill Frisell
Good Dog, Happy Man

Bill Frisell sieht aus wie die Leute, denen du täglich in der U-Bahn begegnest. Vermutlich fährt Bill Frisell in Chicago, New York City oder so tatsächlich täglich rituell U-Bahn, um sich sein berühmtes apathisch-normales Aussehen zu erhalten. (Pat Metheny, der Meister der Jazztapete, sieht dafür aus wie ein Mechaniker ohne Führerschein. Einer der sich täglich die Hahre föhnt, aber heftig auf Naturlocke macht).
Auch was Bill Frisell auf einer Gitarre anstellt, ist cool. Er winselt nicht, er bellt nicht, er knurrt nicht. Er sitzt nur cool da und dehnt Melodien, die intellektuelle Sprinter in einem hochkomplexen Lauf verstauen würden, zu enorm coolen, enorm untertourigen Proletenpassionen. Nicht einmal der göttliche Scofield ist so cool wie Bill. Naja doch. Manchmal.
© Andrea Maria Dusl
geschrieben für Peter Praschl’s

Sofa

2 Gedanken zu „Sieben Platten für ein ganzes Leben“

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