Do you Orkut?

Nach Googling, p2p-file-sharing, bloggen und iTunes ist social networking der letzte Schrei des Internets. Unter den Friendship-Netzen ist Orkut das schillerndste. ANDREA MARIA DUSL Falter 28/04
FA-Orkut.jpgMartha Postiglione aus Porto Allegre hat 133 Fans und 12 knuspi Bikini-Bilder online. Sie wird am 19. August 24 Jahre alt, sucht „friends“ und „business networking“. Die Brasilianerin mit den langen blonden Haaren und den geheimnisvollen Augen ist Agnostikerin, hat einen trocken, freundlichen, bisweilen sarkastischen Humor, kleidet sich mal alternativ, mal klassisch, mal urban, sie raucht nicht, trinkt in Gesellschaft, liebt Tomatensoße und hat ein eigenes weblog. Sport ist für sie Disco, Fernsehen Southpark und Film Quentin Tarantino. Martha liebt Tierbabies, Märchen und Audioslave, perfekt gezupfte Augenbrauen, Journalismus und Jimi Hendrix.
Märten Tuuling ist 25, Este und Single. Er ist „religiöser Humanist“, steht politisch weit rechts, lacht über Slapstick, raucht Kette und feiert jede Nacht auf einer anderen Party. Märten fotografiert für sein Leben gern, liest Isaac Asimov, hört Aphex Twin, Kraftwerk. Er schwärmt für Physik und Paradoxes, für die Filme Beautiful Mind und Matrix. Märten liebt russische Küche und sucht Freunde und Gleichgesinnte.
Paul Terra kenne ich über Heidi, das heißt, Heidi kennt Paul und jemand den ich kenne, kennt Heidi. Paul ist thirtysomething, Wiener, vergeben und „very authoritarian“, wenn man seinem Profil trauen darf, was man nicht sollte, denn Paul liebt auch den britisch-levantinischen Ethnoproleten Ali G. Paul trinkt und raucht viel, mag Haustiere nur im Zoo dafür aber um so mehr Minimal Techo und das Leben in der Nacht. Klar hat auch Paul eine eigene website.
Was Martha, Märten und Paul erbindet? Sie alle sind Teil eines weltumspannenden Netzes von „Freunden“ und „Freundesfreunden“, sie sind „members of orkut“, Mitglieder bei Orkut (www.orkut.com).
Die Idee hinter Orkut ist nicht neu. Eine ähnliche online-community gab es schon im Wien der Neunzigerjahre. Die legendäre Blackbox verband Freunde und Bekannte. Wer damals nicht in der Blackbox war, war entweder tot oder sonstwie von gestern. Und US-amerikanische online-communities wie das mittlerweile in der Bedeutungslosigkeit verwesende AOL gab es schon, als das Internet noch an wenigen dünnen Fäden hing und eine eigene Emailadresse noch so was Seltenes war wie Fernsehen in den Vierzigern.
Orkut unterscheidet sich jedoch von anderen boomenden social networks wie Friendster (www.friendster.com) MySpace (www.myspace.com), MeetUp (www.meetup.com), Tribe (www.tribe.net) sowie Jobbörsen und Geschäfts-Netzwerken wie Ryze (www.ryze.com), LinkedIn (www.linkedin.com) oder dem Online-job-Giganten Monster.com (www.monster.com) durch ein kleines, aber brilliantes feature: die Möglickeit “Communities” beizutreten oder diese sogar neu zu gründen.
Orkut-Communities funktionieren ganz so, wie sie das auch im real life, an amerikanischen Universitäten tun. Die abertausenden Debattierclubs, Science-Circles, Sportvereine, und halbernsten Geheimgesellschaften oszillieren zwischen seriös und obskur. Sie sind das Fleisch auf den Knochen von Orkut. Aber anders als auf US-Colleges bilden sie nicht nur das Campuslife von white-upperclass-Kommilitonen ab, sondern die Vorlieben und Sehnsüchte einer weltweit vernetzen, mulitethnischen online-community. Abgesehen von Schweinekram und Ethnohetze (die explizit verboten sind) gibt es kein Thema, zu dem auf Orkut noch keine Community gegründet wurde. Mitglied in drei, vier Dutzend solcher Communities zu sein, gehört denn auch zum guten Ton auf Orkut.
Unter den gezählten 112.906 Orkut-Communities gibt es Nichtolympisches wie den “Office Sports” Klub (16 Mitglieder), US-Politisches jeder Richtung wie “Bush In 2004” (320 Mitglieder) oder “Anyone But Bush in 2004” (4098 Mitglieder), Exklusive Geheimclubs wie die “Neofeudalisten” (13 Mitglieder), die “Maoisten” (47 Mitglieder) oder hochmoderne Debattiercamps wie “The Bobo Society” (123 Mitglieder ).
Eine wachsende Zahl von Orkutianern versammelt sich in obskuren Cercles wie dem “Phoebe-Music-Fan-Club” (1412 Mitglieder), der “Margot-Tenenbaum-Society” (144 Mitglieder) oder der Neigungsgruppe “Fist Shaking” (831 Mitglieder). Tabulos gepostet wird im Salon “Body modification” (459 Mitglieder) oder bei den “Haters Of Bad & Cliche Tattoos” (145 Mitglieder). Religiöses findet sich in Communities wie “Ask Satan” (79 Mitglieder), “Catholic Singles” (ein Mitglied) oder den “Militanten” (107) bzw. “Apathetischen Agnostikern” (72 Mitglieder). Ganze 1578 Mitglieder hat die Community of “Nerds”.
Wozu das alles gut ist? Vom spassgesellschaftlichen Mehrwert der Beteiligten und der philosphischen Qualität, Freunde zu haben, von denen man nicht einmal weiss, ob sie überhaupt extistieren, einmal abgesehen, hat Orkut einen handfesten Hintergrund: Google.
Orkut heißt Orkut, weil das der Vorname von Orkut Buyukkokten ist. Der junge Mann mit dem unaussprechlichen Nachnamen studierte Computer Science an der legendären Silicon-Valley-Schmiede Stanford, jener kalifornischen Elite-Universität, die wie keine zweite für den technologischen Input der IT-Industrie sorgt. Und Orkut Buyukkokten programmiert für Google. “Affiliatet with Google”, “Google nahestehend”, verrät denn auch ein kleiner diclaimer am unteren Rande jeder Orkut-Page. Bedient sich Orkut also der Suchtechnologie Google, um die Hunderttausendschaften seiner Mitglieder auf der Suche nach neuen Freunden und Freundesfreunden zu unterstützen? Mit Sicherheit. Aber es ist nicht Google, das Orkut von Nutzen ist. Es ist genau umgekehrt.
“Warum braucht Google Orkut”, fragt sich Internet-Insider Jeremy D. Zawodny in seinem weblog: “Google hat Millionen von Usern. Aber wieviel wissen sie von denen? Haben sie eine Userdatensammlung, in der sie schürfen können? Wenn sie eine haben, muss sie verblassen im Vergleich zu denen, die Yahoo, America Online und MicroSoft Network angesammelt haben. Statt ihre User dazu zu überreden, sich zu registrieren schultert Google einen Rucksack mit einem der vitalsten Trends der Zeit: ein Social-Network-Programm. Das Ganze im halboffiziellen Beta-Modus, im “invitation only”-Modus und fertig ist der Touch des Exklusiven.”
Wer eine Orkut-Registrierung hinter sich hat, versteht, so Zawodny, warum Orkut “Tonnen an Daten” abfragt. Demograhische Information, die Marketingfuzzies jauchzen lässt. Sobald Orkut mal Millionen, registrierter Mitgliedern hat, resümiert Zawodny, könnte das, Google einstweilen offiziell nur “nahestehende” Network dem Suchmaschinengiganten als “orkut.google.com.” eingebaut werden und: Bingo! Userprofile und Suchanfragen liessen sich einander zuordnen. Googlen wäre gläsern. Aus der Goldmine Google würde ein Diamanttagebau ungeahnter Grösse.
Kein Wunder also, dass neu eingeladene Orkutianer zu allererst minutiöse Profile ausfüllen müssen – Telefonnummern, Adressen, sexuelle Vorlieben, religiöse Preferenzen und ähnliche datenschützerisch bedenkliche Tiefeninformation nicht ausgenommen. In einer virtuellen Welt gibt es virtuelle Interessen, virtuelle Identitäten und virtuelle Märkte. Es ist also unerheblich, ob ein Profil den wiklichen Namen seines Users enthält, solange es seine wirklichen Interessen und Vorlieben abbildet.
Die Kurve der Orkut-Mitglieder zeigt steil nach oben, die Millionen-Member-Grenze könnte noch diesen Sommer durchstossen werden. Das ist nicht wenig für eine Online-Community, die sich nur durch Sprossung vermehrt: Neue Orkut-member müssen nämlich von alten eingeladen werden. Dieses raffinierte System gaukelt jene Exklusivität vor, wie man sie in der realen Welt von In-Clubs mit restriktiver Einlasspolitik kennt. Und Orkut kommt auf diese Weise an Namen und Emailadressen heran, die tatsächlich in Verwendung sind.
“Die Anzahl der täglichen Spam-mails hat sich verdreifacht, seit ich bei Orkut bin”, jammert Orkutkritiker Cory Doctorow, “aber vielleicht bin ich poranoid und das ist reiner Zufall.”. Doctorow, Mitarbeiter in der Electronic Frontier Foundation und Mitherausgeber des populären und einflussreichen BoingBoing weblogs, klagt, die Lawine von Orkut-Freundschaftsbestätigungs-Mails treibe ihn mittlerweile “in den Wahnsinn”.
Noch ist Orkut aper von Werbebannern und Reklame-pop-ups. Seine Betreiber sind peinlich darauf bedacht, sich keine Kommerzläuse einzufangen und adminsitrieren mit fast schon religiösem Eifer den Grundatz, nur reale Personen mit realen Portraitsfotos online zu stellen. Dass es dennoch Kunstpersonen mit höchstwahrscheinlich irrealer Identität wie “God”, “Satan” , “Jesus Christ”, “Elvis Presley”, “Adolf Hitler”, “Brad Pitt” und “Herr Tomtschek” gelingt, ein erfülltes Orkut-Leben zu führen, spricht für die Hartnäckigkeit, mit der sich eine aufgeklärte Online-Guerilla dem geheimen Orkut-Ideal einer gläsernen Big-Brother-Gesellschaft widersetzt. Eingeweihte wollen wissen, dass allerhöchstens ein Drittel der Namen auf Orkut wirklich real sind, von der Richtigkeit der persönlichen Angaben ganz zu schweigen.
Und genau das ist es, was für die Mehrzahl der Orkut-Communarden den Spass an der Sache ausmacht. Das Spielen mit jener gesunden Mischung an Lüge und Wahrheit, wie sie aufgekärte Netizens im Umgang mit dem Medium verinnerlicht haben.
Dass im Schlafzimmer von Orkutianer “Tomtschek” ein “Bett” steht, wie sein Profil verrät, und dass sein online-Buddie, der schnurrbärtige Funkgott “Ray Gold” mit der DDR-Handarbeitslehrerin “Felicitas Stulle” und dem schweizer Taschenbillardadonis “Uwe Üwken” verbandelt ist, dürfte Big Brother im amerikanischen Heimatschutzministreium mehr Sorgen machen als der globalen Community der Online-Datenschützer.
Also: Let’s Orkut!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert