Rudi Carrell – Gags am laufenden Band

Humor. Holland ist nicht allein für Tulpen und Eisschnellläufer berüchtigt, sondern auch für Rudi Carrell, den größten nicht-deutschsprechenden Showmaster des deutschen Sprachraums.

Andrea Maria Dusl, 18.4.1999, für Profil.

Der schlaksige Junge von Nebenan mit der butterweichen Tolle vor der Stirn war der perfekte Liebling aller Muttis und Omis. Zum Abküssen perfekt auch sein loses Mundwerk. Rudi Carrell, 1934 als Rudolf Wijbrand Kesselaar in der holländischen Kleinstadt Alkmaar in eine Komikerfamilie geboren, tingelte nahezu ein Jahrzehnt als Zauberkünstler, Bauchredner und Modesprecher durch die Niederlande, bis ihn 1959 ein Fernsehauftritt mit eigenen Ideen über Nacht berühmt machte.

Die monatliche Rudi-Carrell-Show lief mehr als 35 mal über holländische Bildschirme, bis Carrell – mit einer silbernen Rose von Montreux  in der Tasche – auch das deutsche Fernsehen auf sein Talent zur Samstagabend-Familienunterhaltung aufmerksam machte. Der mehlweiße Jüngling mit dem schon früh ulcusfaltigen Knittergesicht machte aus seinem knödelnden Kauderwelsch eine liebenswert  unnachahmliche Tugend und stilisierte sich  pfiffigen Shows zum Liebling der geteilten Nation. Bundesrepublikanische Einschaltquoten jenseits der 60% verwiesen Kollegen wie Hans Rosenthal (Dalli Dalli) und Wim Thoelke (Der große Preis) auf die Plätze. Als deutsche Unterhaltungs-Kolonie war Österreich, wie damals bei großen Quotenknüllern selbstverständlich, ausstrahlungstechnisch gleichgeschaltet.

1974 trat an die Stelle der Rudi-Carrell-Show das Familien-Quiz „Am Laufenden Band“, eine deutsche Version des ursprünglich ebenfalls holländischen „Een van de acht.“ Die Product-Placement-Comedy tarnte sich als spannendes Merkspiel. Auch jenseits der innerdeutschen Grenze hatte die Show, bei der vom Toaster bis zur kompletten Golfausrüstung alles gewonnen werden konnte, was ins deutsche Eigenheim passte,  geradezu paradisisches Format.

In den frühen Achtziger Jahren feierte Carrell neue Erfolge mit  „Rudis Tagesshow“, einer mit Gags und Sketchen angereicherten Persiflage auf die Nachrichtensendung „Tagesschau“, die trotz schlechter Sendezeit erstaunliche Reichweite erzielte.

Aber hier strauchelte der mittlerweile ergraute Junge aus Flandern, der sich einst die Sporen in der halbhohen Schule des billigen, weil unpolitischen Gags verdient hatte, an niemand geringerem als Khomeini. Carrell hatte in einer halblustigen Film-Montage den Eindruck erweckt, der Ajatollah werde von Anhängern mit Damenunterwäsche beschenkt.  Der iranische Staats- und Kirchenführer war empört und monierte offiziell die Entschuldigung der Bonner Regierung. Die politischen Wogen gingen hoch: Der Kulturreferent der deutschen Botschaft in Teheran wurde ausgewiesen und das Goethe-Institut geschlossen. Carrell mußte sich beim iranischen Volk entschuldigen, „möglicherweise religiöse Gefühle“ verletzt zu haben.

Die Karriere des Showmasters wollte sich nach diesem Knick – etwas später verscherzte es sich Rudi auch noch mit Bundeskanzler Kohl – nicht so recht erholen. Die „Oma-Opa-Mama-Papaguckmal-Show“, „Rudis  Tiershow“, sowie eine Reprise der  „Rudi-Carrell-Show“ litten alle unter Publikumsschwund. Der privat zwischen ruppigem Machismo und misanthropem Poltern oszillierende Rudi verlegte seine Agenden, ähnlich seiner Landsfrau Linda De Mol, vom publikumswirksamen Show-Mastern  ins finanziell noch erfolgreichere Show-Manegment. Die Moderation der  Blind-Date-Show „Herzblatt“ übergab er einem Kollegen mit ähnlichem Ausländerbonus: Reinhard Fendrich.

Rudi Kesselaar, der „Jong van Nebenaan“ ist zweifelos der bekannteste, aber beileibe nicht einzige Unterhaltungsexport aus dem Land der Grachten und Kanäle. Auch der legendäre Moderator des „Goldenen Schusses“, Lou van Burg war eingedeutschter Beuteholländer. Der leichten Muse fühlt sich auch der 95jährige Filmstern und Operettentenor Johannes „Jopie„ Heesters heute noch verpflichtet. Schlicht als Clown sieht sich dagegen Performance-Artist Hermann van Veen. Sein sülziges Kleingekünstel tarnt sich als „politisch bewußtes  Hinterfragen von Mißständen“ und gerät dabei zum kabarettistischen Selbstläufer: Just die Hermann-Veen-Parodie „Pflaumenbaum“ zählt zu den größten Lacherfolgen seines deutschen Kollegen [Helge Schneider].

Mit allerseichtestem, wenngleich finanziell höchst einträglichem Schmus erklomm ein gewisser Pierre Kartner in den 70er Jahren sogar die europäischen Hitparaden: Unter seinem Künstlernamen Vader Abraham  und dem „Lied der Schlümpfe“ ist der Holländer noch immer ein Begriff. Sein Song „Wenn die Slipeinlage nur gut sitzt“ dagegen unterschritt im wahrsten Sinne des Wortes die Gürtellinie und geriet zu Recht  in Vergessenheit.

Was können Holländer besser, was macht sie so beliebt? „Es ist vor allem ihr Akzent“, meint Jörg Metes, früher Chefredakteur des Satrirepostille Titanic und als ehemaliger Gagschreiber von Thomas Gottschalk mit den Usancen des deutschen Fernsehens bestens vertraut, „egal, was Holländer sagen, es klingt einfach witzig.“

Oder, wie der notorische Gagsucher Carrell das Geheimnis seines Erfolgs selbstanalytisch auf den Punkt brachte: „Warum ich in Deutschland lebe? Du kannst nicht auf Mallorca wohnen, aus dem Fenster gucken, eine Palme sehen, den Strand, das Meer und an etwas Witziges denken. In Afrika gibt es keinen einzigen Komiker. In England gibt es die meisten, weil es dort immer nebelig ist und stürmt. Die besten Ideen habe ich, wenn ich zu Hause am Fenster sitze und es regnet.“

Holländischer Komiker sein ist ein Scheißberuf. Es gibt nichts Schlimmeres, als vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen und etwas schreiben zu müssen, worüber Millionen von Deutschen lachen sollen. Rudi Carrell.

Im Showbusiness ist Klugheit nicht immer von Vorteil. Rudi Carrell.

Mit 17 mußte ich mich entscheiden: Müllabfuhr oder Showmaster. Rudi Carrell.

Ein holländischer Fußballer rächt sich an der deutschen Presse, indem er abhaut, ein holländischer Showmaster, indem er bleibt. Rudi Carrell.

Nach jeder Show bin ich in einer Stimmung, daß jede Frau, die sich mir bis auf zehn Meter nähert, automatisch schwanger wird. Rudi Carrell.

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