Ausdrückliches Urwienerisch

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 41/2024 vom 9. Oktober 2024

Liebe Frau Andrea,
bei unseren Wiener Dialektabenden am 8. November und am 6. Dezember im Gasthaus Lebenstraum in der Brigittenau werden Lieder vorgetragen. Bei dem Lied „Urwiener Ausdrücke“ sind mir folgende Ausdrücke fremd: „Weche Rüttelbesen“, „Singhalesen“ und „Taschlbacher“. Können Sie helfen?
Liebe Grüße,
Otto Luif, Alsergrund, per Email

Lieber Otto,

in besagtem Lied mit dem Untertitel „O du süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Weanersprach!“ erzählt Textdichter Karl Molnár zur Musik von Theodor Antoniassi, Kapellmeisters des Volkstheaters, typische Szenen aus dem Wien der Gründerzeit: Die Annäherungsversuche eines gesetzten älteren Herrn an ein Wäschermädel, dem die begleitende Mutter derb Kontra gibt, oder die wortreichen Beruhigungsversuche einer blutjungen Mutter ihrem schreienden Kleinkind gegenüber. In der ersten Strophe des Lieds schimpft ein Fiaker mit zwei jungen Herren, denen die Taxe für die Fahrt zu hoch erscheint. Die Schnösel werden mit Ausdrücken wie Bücha (Pülcher, Verbrecher), und Fliagnpracker (Fliegenklatsche) eingedeckt, und schließlich mit den von Ihnen erfragten Invektiven.

Besagte „weche Rüttelbesen“, von Fiakern im Stall verwendet, waren als „Riadlbesn“ (Rütleinbesen, Rutenbesen) bekannt. Waren diese Kehrhilfen aus Birkenruten „wech“ (wehe), waren sie weich und ausgeleiert, also unbrauchbar. Mit dem Hinweis auf „Singhalesen“, die größte ethnische Gruppe Sri Lankas (Ceylons) verbindet sich die Erinnerung an jene ethnograpischen Spektakel, die 1885 täglich im Circus Eduard Wulff in der Rotunde im Prater stattfanden. Carl Hagenbeck’s Singhalesen-Karawane, eine Zirkustruppe aus Ceylon präsentierte „51 Einwohner der Insel Ceylon, eine ganze Herde Arbeits-Elefanten, mehre Rinder der Zebu-Rasse“ sowie „interessante Schamanen, Fecht- und Teufelstänzer“. Tempelfeierlichkeiten und die imposante „Perraherra-Karawane“, eine Nachstellung des jährlichen Festzugs zu Ehren der Heiligen Zahnreliquie Buddhas hatten sich fest ins Gedächtnis der Zeitgenossen eingeschrieben. Als „Tatschlbocher“, also Tascherl-Bäcker wurden in despektierlicher Absicht genderdeviante Konditoren und Zuckerbäcker bezeichnet.
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