Wenn der Naz brennt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 36/2024 vom 4. September 2024

Liebe Frau Andrea,
in unserer Region sagen viele Menschen zum elektrischen Strom „Naz“. Also, zum Beispiel „Pass auf, dass di da Naz ned dawischt!“ oder „Do is da Naz drin, schoit zeascht o.“ Oder „Jetzt häds mi fost gnazt.“
Mit freundlichen Grüßen,
Susanne Göschl, Zwettl, Waldviertel, per Email

Liebe Susanne,

das Wort ist im Wienerischen nicht (mehr) geläufig. Wäre dem so, hätte es der Favoritner Elektriker Mundl Sackbauer gewiss verwendet. In Wien zirkuliert eine andere energiespezifische Metapher, „die Gas“ (die Geiß), mit der die vielhunderttausenden Durchlauferhitzer der Bundeshauptstadt betrieben werden. Eine Nähe zum Ausruf „Bumstinazl“ (beim Hinfallen eines Kindes) kann nicht ganz ausgeschlossen werden, sie bezöge sich dann auf die Bombenattentate der illegalen Nazis. Gäbe es einen Waldviertler Energieversorger mit einer Abkürzung, die „Naz“ ähnelte, oder einen lokal berühmten Elektrikermeister mit Vornamen Ignaz (Koseform Nazl, Naz), wäre der Fall gelöst. Ganz unmöglich sind diese Erklärvarianten nicht.

Größere Wahrscheinlichkeit einer zutreffenden Deutung liegt in der sprachlichen Nähe von „Naz“ zu „Nass“ und „Nässe“, und zu einer brennenden, stechenden, dem leichten Stromschlag nicht unähnlichen Erfahrung: Der Berührung mit der „Nessel“, im heimischen Normalfall mit der Brennnessel. Die Nessel, mittelhochdeutsch nezzel, althochdeutsch nezzila, ist eine Weiterbildung zu einem älteren *naton, das noch erhalten ist in althochdeutsch nazza.

Mit der Vorstellung, dass in einem elektrischen Leiter etwas „fließt“, „strömt“ verbindet sich nicht nur unser Wort „Strom“, sondern offenbar auch das waldviertlerische „Naz“, das „Nasse“, „Nassmachende“, „Nesselnde“. Lautete das alt- und mittelhochdeutsche naz (nass, benetzt von), und das Verb nazên, nazzên, mitteldochdeutsch nazzen soviel wie „naß sein“ oder „naß werden“. Das Mittelwort dazu war schon damals „genetzet“, „genazt“.

Unser Begriff „Der Naz“ dürfte die abergläubische Zuschreibung all dieser Zusammenhänge an einen unsichtbaren Geist sein, der in der Leitung wohnt und die Unvorsichtigen, netzt, benetzt, nesselt, sticht.


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