Rot wie der Wuthahn

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 33/2024 vom 14. August 2024

Liebe Frau Andrea,
geschätzte Comandantina, als zuagraster Niederösterreicher in Wien stolperte ich heute über den Begriff Goggerlfrass. Noch nie gehört. Die Oma der (Wiener) Lebensgefährtin verwendet das noch, wenn sie sich besonders aufregt. Woher kommt das?
Mit Mit freundlichen Grüßen,
Ronald Geppl, Wien Mariahilf, vom Mobiltelefon gesendet

Lieber Ronald,

tatsächlich gibt es im Wienerischen ein Wort, das die Gemütserregung beschreibt, bei der man vor Wut oder Verzweiflung rot anläuft. Nach gültigem Verständnis der zugrundeliegenden Etymologien schriebe man das Wort Pockerlfras. „Goggerlfras“ ist ein moderner, inzwischen zirkulierender Verhörer.

Die Fras, Frasen (hochdeutsch Fraisen) war über Jahrunderte eine gefürchete Krankheitsform kleiner Kinder. Ein in Fraisen liegender Säugling (so eine Hebammenzeitung im Juli 1910) zeige große Ähnlichkeit mit einem epileptischen Anfall Erwachsener: Das Verdrehen der Augen, die unheimliche Starrheit des Blickes, Zuckungen, verzogene Mundwinkel. Ursache der Frasen waren viele und vor allem knapp hintereinander liegenden Schwangerschaften. Daraus resultiernder Kalk- und Vitamin-D-Mangel löste Krampfanfälle aus und führte zum frühen Tod der Säuglinge. Unter Fras, Frasen wurden aber auch Zuckungen und Krampfanfälle Erwachsener bezeichnet, Krankheitsbilder wie Epilepsie und Schüttelfrost.

Woher aber kommt das Pockerl? Die meisten von uns verstehen darunter getrocknete Föhrenzapfen. Unser Pockerl aber kommt aus dem Ungarischen, wo Pulyka, ausgesprochen Púika oder Póka den Truthahn (Meleagris gallopavo) bezeichnet. Das Wienerische machte aus Póka, dem großen Vogel mit dem signfikant tiefroten Hals und Kopf liebevoll „Pockerl“. Johann Nestroy nannte die rothaarige Gänsehüterin in seiner Posse „Talisman“ Salome Pockerl.

Die Wienerische Pockerlfras glich, so der Volksmund, jener Erregung, in die man einen Truthahn durch Vorhalten eines Spiegels, oder farbigen Stoffs bringen konnte. Für die sprichwörtliche Wiener Pockerlfras braucht es also einen äußeren Anlaß.

Oder das, was man dafür hält.


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