Darf man sich zernegern?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 23/2024 vom 5. Juni 2024

Liebe Frau Andrea,
die Oma ist seit einiger Zeit verstimmt, der neue Freund der Enkelin warf ihr an den Kopf, nach dem Gebrauch des Wortes „zanegad“ nicht gesellschaftsfähig zu sein. In meiner Kindheit (ohne Internet, dafür mit Vierteltelefon und ORF eins und zwei mit nächtlicher Bundeshymne) war das ein Wort, mit dem man einen heftigen Lachanfall beschrieb – zerkringelt oder eben zanegad. Ich habe selber schon versucht, den Ursprung dieses Wortes aufzuspüren, bin aber nicht fündig geworden. Können Sie mir weiterhelfen? 
Liebe Grüße,
Karin Farcher-Kopetzky, per Email

Liebe Karin,

das rassistisch besetzte, im Zuge des Kolonialismus ins Deutsche übergetretene „N-Wort“ spukt in vielen Volksetymologien herum und ist im Rahmen galoppierender political correctness als Unwort geächtet. Etwa wenn es als Ursprung des geldlosen Zustands herangezogen wird, den das Wienerische als „néga sein“ kennt.

Tatsächlich kommen „néga“ und der „Négerant“, der Protagonist armutsnahen Durchwurstelns von der „Neige“. Altwienerisch Nāg ist das Zuendegehen des Vorrats. Tschecheranten (Alkoholiker) kennen das Wort als Nāgl, Nāgerl, das flüssige „Restl“ im Bier- oder Weinglas.

Das von ihrer Großmutter verwendete Zeitwort stellt sich in eine Reihe von Ausdrücken, die im Wienerischen für den heftigen Lachanfall gebraucht werden. Wer vor Lachen zerspringt, dsabead si (zerbärt sich, was nicht von ursus, dem Bären kommt, sondern von „beren“ zerdrücken, kneten). Wer sich totlacht, dsafedsd (zerfetzt) und dsabeckd si (zerpeckt sich, pickt sich entzwei), dsascheppad (zerscheppert), dsakugld (zerkugelt) und dsawudsld si (zerwuzelt, zerknüllt sich). Mit einiger Sicherheit kommt auch das Zernegern, eigentlich Zerneigern, Zernebern von einer handwerklichen Betätigung, dem Bohren von Nabenlöchern. Mit Neiger, Näbiger, Naber, Neber bezeichnete man das spitze Eisen, mit dem man eine Nabe, ein Loch bohrte.

Nicht unwahrscheinlich ist auch eine Verwandtschaft mit dem Verb „nagen“. Um Missverständnissen im Schriftverkehr zu entgehen, empfiehlt sich daher die Schreibweise „zernägern“.


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