Wo springt man über die Lahn?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 22/2024 vom 29. Mai 2024

Liebe Frau Andrea,
in Arik Brauers „Warum ist er so dumm“ heißt es in der vorletzten Zeile „So springt er mit’m Gwehr über d’Lahn“. Was könnte die „Lahn“ in diesem Kontext wohl sein?
Vielen herzlichen Dank im Voraus, mit freundlichen Grüßen,
Georg Nossek, per Email

Lieber Georg,

im bairischen Sprachraum, zu dem auch Wien gehört, versteht man unter „Lahne“, „Lahn“, „Lan“ den lichten, baumlosen Streifen, der sich vertikal an einem Berg entlangzieht. Die Lahne, Lahn ist die weithin sichtbare Störung, die Scharte im Gelände, die breite Schneise im Wald.

In Tirol kennt man den geomorphologischen Prozess dieser Art als „lán“, „län“, als Mure, Erdrutsch, und sprachlich nicht unverwandt, als Lawine. Das Kärntnerische kennt verschiedene Formen der „lâne“, so die Schnealâne, die Erdlâne oder Gruntlâne. Diese und ähnlich lautende Wörter gehen auf ein mittelhochdeutsches „lene“ zurück, das die Lawine, aber auch den tauwetterbedingten, tief ins Gelände einscheidenden Gießbach bezeichnet. Als Lahnwind bezeichnet man den Tauwind, und wenn es taut, lahnt es.

Von Lawinen in den Wienerwaldbergen berichtet die Stadtgeschichte nichts, kommt doch Arik Brauers „Lahn“ vom einem anderen Wort, dem mittelhochdeutschen Verb „linen“, „leinen“, althochdeutsch „(h)leinen“, das unser heutiges Zeitwort lehnen, (an)lehnen, wienerisch „lahna“, „aulahna“ erzeugt hat. Die „Lahn“ ist die „Lehne des Berges“, der Hang.

Sehr ähnliche Geländebezeichnungen im Wienerischen sind die „Leit’n“, die schräg ansteigende „Leite“, von mittelhochdeutsch „lîte“, und die „Lend“, „Lände“, von althochdeutsch „lenti“, dem Landungsplatz, dem Ufer, an dem die Schiffe anlegten, anlandeten. Er ist im Wienerischen noch in den Straßennamen Nussdoafa und Rossaua Lend erhalten, schön geprochen: Nußdorfer und Roßauer Lände.

Der Dummkopf, der in Arik Brauers Lied mit dem Gewehr „über d’Lahn“ springt, ist der gebrochene Soldat, der sich mit „mit achtzehn“, „dressiert und g’schliff’n“, das „G’sicht voller Lahm“ (Lehm) durchs Gelände bewegt, weit weg von Wiens Länden, im Krieg, in der Provinz, an der Front.

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2 Gedanken zu „Wo springt man über die Lahn?“

  1. Liebe Frau Andrea,

    als Nichtnative lerne ich durch Sie fast wöchentlich Neues über das Wienerische. Bei der „Lahn“ im dieswöchigen Falter klingelten bei mir aber auch die im Weststeirischen sozialisierten Ohren.

    Ich glaube, dass das Wort dort keine Lawine oder Bäche bezeichnet, sondern eine feuchte, sumpfige Wiese, vielleicht auch ein Moor. Meine Großmutter wohnte unweit so einer Lahn, in der es auch Sumpflichter gegeben haben soll. Ich selbst kenne das Wort eigentlich nur aus ihren Warnungen vor dem „Lahnwaberl“ (Lahnweiberl), einer furchteinflößenden Sagengestalt, die es wohl auf Kinder abgesehen hat (zumindest wurde mir mittels Erzählungen über das Lahnwaberl nahegelegt, bei Einbruch der Dämmerung rasch nach Hause zu kommen, da es mich ansonsten mitnehmen könnte). Das Lahnwaberl hält sich passend zum Namen in der Umgebung von solchen Sumpfwiesen auf und die Sumpflichter zeugen von seiner Präsenz. Ich stellte es mir immer mit Kopftuch, Buckelkraxe, Schafskopf und toten Augen vor, wobei letztere beide sicher reine Erfindung meiner kindlichen Fantasie waren, die Großmutter hat das nie so behauptet.

    Ich dachte, vielleicht interessiert sie die semantische Ergänzung aus meinem Heimatdialekt.

    vielen Dank für Ihre Beiträge, sie machen mir wirklich große Freude!
    Liebe Grüße
    Katharina

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