Corona Frisuren

Dieser März hat unser aller Leben verändert. Manche hatten alles vorausgesehen, waren am Strand der Aktualitäten gestanden und hatten gesehen, gehört, gespürt wie sich das Meer zurückzieht, um sich für die große Welle zu sammeln. Da hatten andere noch gesagt, wir sind nicht China, nicht der Iran und eigentlich auch nicht Italien. Aber jetzt ist der Corona-Tsunami da. Langsam, fast in Zeitlupe, und doch unaufhaltsam flutet er unser Leben. Es ist anders geworden. Stiller, bedächtiger, und trotz aller Distanz intimer.   

In der Upper Westside Leopoldstadt, wo ich wohne, sind nur Abstandhalter unterwegs. In die Apotheke treten (sehr unwienerisch) nur Einzelne ein. In den einsamen Regalschluchten der Parfumerie gibt es wieder palettenweise Klopapier, aber noch immer sind Seifen aller Art Luxusware. Die Parfumerie-Dame ist sich mit mir einig, dass wir alle Entschleunigung brauchen. 

Draußen auf der Straße ist man schon soweit. Im Nachbarblock sitzt ein Romeo auf mitgebrachtem Sessel vor dem offenen Fenster der darin chillenden Julia und spielt Erfreuliches auf der Ukelele. Ein normaler Tag in meinem Grätzl. Ich treffe seit Jahren zum erstenmal meine Nachbarin auf der Straße. Wir tragen beide Schutzbrillen von Ray-Ban und plaudern mit Romeo und Julia (Gesamtabstand untereinander 9,8 Meter): Wenn Corona vorbei ist, machen wir so weiter. „Die Krise ist eine Chance!“ sage ich. „Ein Schas?“ fragt Romeo (er ist Deutscher und integriert). „Beides“, antworten wir Schutzbebrillten. Alle lachen. Auch über unsere Frisuren.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 28. März 2020.

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Ursprüngliche Version:

Wenn wir diese Kolumne lesen, blicken wir in die Vergangenheit. Texte dieser Art werden aus produktionstechnischen Gründen ein paar Tage im voraus geschrieben. Normalerweise mündet dies nicht ins Delta des Aktualitätsverlustes. Corona hat das radikal geändert. Und obwohl dieser Tsunami, am Beispiel Chinas (und des uns doch so nahen Italiens) in Zeitlupe auf uns zurollt, schon einige nass und noch mehr ängstlich gemacht hat, muss jeder Blick in die Zukunft versagen. Blicken wir also in die Vergangenheit. Wie war das heute nachmittag, am 19. März 2020, kurz vor dem Verfassen dieser Kolumne:

„Kleiner Lagebericht aus der Upper Westside Leopoldstadt. Nur Abstandhalter unterwegs. In die Apotheke (Fernblick) treten nur Einzelne ein. In der günstigen Parfumerie gibt es jetzt wieder palettenweise Klopapier, aber noch immer kein Ajax, Ärzteseife nur in Riegelform, Flüssigseife ist aus. Die Parfumerie-Dame ist sich mit mir einig, dass wir alle Entschleunigung brauchen. Beteiligte (im Abstand 1,5) lassen die Worte „moderne Sklaverei“ und „Falotten“ fallen.

Im Nachbarblock sitzt ein Romeo auf mitgebrachtem Sessel vor dem offenen Fenster der darin chillenden Julia und spielt Erfreuliches auf der Ukelele. Kein normaler Tag in meiner Hood. Ich treffe seit Jahren zum erstenmal meine Nachbarin auf der Straße. Wir tragen beide Schutzbrillen von Ray-Ban und plaudern mit Romeo und Julia (Gesamtabstand untereinander 9,8 Meter): Wenn wir das überleben, machen wir so weiter. „Die Krise ist eine Chance!“ sage ich. „Ein Schas?“ fragt Romeo (er ist Deutscher und integriert). „Beides“, antworten die Schutzbebrillten. Alle lachen.“

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