Von der Verwordaglerei

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 42/2018 zum 17.10.2018.

Sehr geehrte Comandantina,
beim Betrachten meiner Zehennägel kam mir in den Sinn, die sehen „verwortagelt“ aus. Geschehen vor allem durch den Tennissport, aber auch sonst, ich brauche nur wo anstoßen, schon ist eine Zehe blau. Somit war jede Zehe mit der Zeit mindestens einmal blau, zumeist mehrfach. So schauen diese nun auch aus. Aber woher kommt der Begriff „verwortagelt“?
PS: Compliments to the members of intelligence services reading this email.Pfiat‘ Gott, Adieu, freundlich grüßt, best regards,
Peter Jürß, Ottakring, per Email

Lieber Peter,

im Wienerischen bezeichnet unser lautmalerisch wie typographisch expressives Wort das Schiefe, Krumme, Unregelmässige, das aus jeglicher Ordnung Fallende. Damit können ihre Tenniszehen ebenso gemeint sein, wie der schiefgewachsene Christbaum oder das verdrehte, mit anderem Schnüren und Litzen gordisch verknotete Ladekabel. Semantisch richtig müsste man das Wort verwordaglt schreiben, ausgesprochen in etwa „fawoadaagld“.

Nach Auskunft der etymologischen Forschung kommt es vom mittelhochdeutschen verwohrt (verwirkt, schlecht gemacht), dem Partizip Perfekt von verwürken (verwirken) und vom mundartlich gebrauchten Verb dageln (teigeln), soviel wie „einen Teig machen“, kennt doch das Wienerischen den Teig als Daag. Möglicherweise hat auch das adjektivisch gebrauchte Partizip Präteritum des ausgestorbenen Zweitworts verwerren (verwickeln, verwirren) auf unseren Begriff eingewirkt. Wir kennen das Verb noch heute als „verworren“. Unser schönes Wörtchen verwordagln wäre demnach soviel wie Verwirrteigen und eine Herkunft aus der Bäckerkunst festgestellt. Das Verwordaglte Semmerl, der verwordaglte Striezel, die verwordaglte Brezen und das verwordaglte Salzstangerl wären sohin prototypisch für jegliches ästhetische Scheitern.

Andere brauchbare Ausdrücke für Unbrauchbar-Brauchbares wären das Dsammgschuasdade (Zusammengeschusterte), Bfuschde (Gpfuschte), Ghudlde (Gehudelte), Gmuagsde (Gemurkste) und Gschluadade (Geschluderte). Nichtdingliches kennt das Wienerische als Gwiags (Gewirke), in textiler Metaphorik Verwirktes.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „Von der Verwordaglerei“

  1. sehr geehrte frau dusl,

    erlauben sie mir zwei kleine bemerkungen zu ihrer letzten kolumne.
    zum einen hat sie mich an ein gespräch erinnert, das wir vor jahren mit einer alten tante meiner frau in kärnten hatten. als sie uns von ihrer jugend erzählte, in der sie bei einem bäcker gearbeitet hat, verwendete sie bei der schilderung der herstellung von semmeln ein wort, das, so glaube ich, so ähnlich wie worchen oder wurchen klang.
    zum anderen taucht im zusammenhang mit verworrtakelt als minderheitsposition immer wieder eine etymologie auf, die das wort aus der seemannssprache herleitet. verworrtakelt wurde in lautstand und bedeutung übernommen und auf andere gebiete übertragen. dies scheint mir insofern schlüssig, als die erklärung schön und einfach ist (ockham’s razor), andererseits wir das gleiche phänomen bei aufgetakelt und abgetakelt beobachten können: eine aufgetakelte person, eine abgetakelte spelunke. allerdings kenne ich das wort nicht aus dem norddeutschen raum, es müsste also noch aus der österreichischen marine stammen …

    herzliche grüße – gerold wallner

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