Adlerkunde

Der Adler gilt als König der Vögel. Es darf nicht wundern, dass er den Ländlern der Berge als Wappentier dient. Der Storch hat zwar die größeren Meriten (er bringt die Kinder und urlaubt gerne), das Brathuhn die größere Beliebtheit (und die Speisekartentauglichkeit), aber an staatspolitischer Strahlkraft nimmt es keiner mit dem Adler auf. Der österreichische Adler ist schon deswegen mit Ehrwürdigkeit imprägniert, weil er das Symbol des Heiligen Römischen Reichs war und über die Verquickung des Herrscherhauses Habsburg mit dem Kaiseramt zum Schutzvogel Österreichs wurde. (Mit dem Bindenschild konnte man sich allenfalls zudecken). Die Tiroler sehen das naturgemäß etwas anders, sie haben einen eigenen Vogel und sind damit sehr glücklich. Niederösterreichs goldene Flugtiere gelten als Lerchen und spielen damit nicht in der Oberliga. Der Burgenlandadler hat müde Schwingen und sitzt traurig auf einem Stein.

Lange Zeit wachte der Reichsvogel über Land und Leute in Form des Doppeladlers. In der Monarchie hielt man den einen Kopf für den kaiserlich (österreichischen), den anderen für den königlich (ungarischen). Gebildetere Schichten entnahmen dem Habsburger-Wahlspruch die Namen der Adlerköpfe: „Indivisibiliter ac inseparabiliter“, „Unteilbar“ und „Untrennbar“. Mit dem Zerfall des Unteilbaren und Untrennbaren blieb Österreich der Einkopfadler. Welcher der beiden alten Köpfe im rezenten Wappen nach dem Rechten sehen, ist ungeklärt. Nennen wir den heutigen Kopf „Unbekannt“. Die republikanische Konkurrenzidee zum Adler, ein Turm mit Ährenkranz und Doppelhammer konnte sich übrigens nicht durchsetzen. In seinem rechten Fang hält der Bundesadler eine Sichel, in seinem linken einen Hammer. Die gesprengten Ketten (als Symbol für die Befreiung vom Nationalsozialismus) stören manche weniger als die schiere Präsenz von Hammer und Sichel, die Paradesymbole des Kommunismus. Für den Stand der Bauern und Arbeiter wären wohl modernere Regalien angebracht: Traktorrad und Schraubenschlüssel. Oder Glyphosatflascherl und Abgassonde.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 9.9.2017.

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