Woran die guten Vorsätze scheitern

Der Beginn eines neuen Jahres ist untrennbar mit dem Ende des alten verbunden. Während die meisten Geisterstunden schlafend verbracht werden, ist die Bevölkerung in der Regel hellwach, ja illuminiert, wenn das Jahresdatum springt. Silvester dauert denn auch länger, als alle anderen Abende des Jahres. Wird er ausgiebig begangen, endet er im Morgengrauen des Neujahrstages, in österreichische Verhältnisse übersetzt: Wir erwachen zur zweiten Hälfte des Neujahrskonzertes. Mit diesem Erlebnis, das Körper und Geist gleichermassen entrückt, ist jenes eigentümliche Ritual verbunden, das wir als das “Fassen guter Vorsätze” bezeichnen.

Was wissen wir über das Wesen des Vorsatzes? Paragraph fünf des Strafbesetzbuch gibt uns Hinweise. Demnach handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Der Täter handelt absichtlich, wenn es ihm darauf ankommt, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt. Der Täter handelt wissentlich, wenn er den Umstand oder Erfolg, für den das Gesetz Wissentlichkeit voraussetzt, nicht bloß für möglich hält, sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiß hält.

Die semantischen Spezialitäten, die Gesetzestexten innewohnen, veschleiern den Blick auf Wesentliches: Vorsatz und Verwirklichung müssen sich mit Vorliegen und Eintreten, jedenfalls aber mit ernstlicher Möglichkeit verbinden. Nichts davon eignet den “guten Vorsätzen”. Wer luderhaft Hochprozentiges zu sich nimmt, wer sich tagein, tagaus dem Nikotinabusus hingibt, wem der Couchpotatismus mehr zusagt, als das Aufsuchen entlegener Natur-Sanktuarien, wird trotz Vorsatzgüte kaum der Askese und der Frischluftfanatik zusprechen.

Oder so: Vorsatz ohne Tat ist möglich, aber nicht ernsthaft. Gute Nachrichten für Vorsatz-Untäter. Ankündigungen bleiben straflos, auch wenn wir sie an uns selbst richten. Damit können wir uns absichtlich abfinden.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 7.1.2017.

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