König von Amerika

Zu den zermürbenden Leidenschaften von homines politici gehört der minutiöse Medienkonsum eines US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes. Nervenzerrüttendes Finale dieser schmerzhaften Obsession ist die eigentliche Wahlberichterstattung, das Eintrudeln von Teilergebnissen, die Analyse der sichtbar werdenden Trends, das Crescendo des endgültigen Ergebnis. Was für eine normale Wahl gilt, gilt auch für eine unnormale. Und die Wahl von POTUS (president of the United States) ist solch eine unnormale Wahl.

Nicht überall.

Während einer solchen Wahl (es war die 56. Elektion zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, im November 2008), befand ich mich im Reich des Bösen, in Wladimir Putins Russland. Meine Freunde dort, St. Peterburger Intellektuelle, teilten meine Einschätzungen über Welt und Weltpolitik und nahmen an meinen Fehlversuchen teil, eine Hoffnung auf Besserung derselben zu knüpfen. Meine St. Petersburger Freunde waren aufgeklärt, kritisch, sie waren belesen und alert. Nur in einer Hinischt waren sie immun gegen Erkenntnis. Während ich die kalten nördlichen Hotel-Nächte hellwach aber sterbensmüde vor dem Fernsehapparat verbrachte, schlummerten meine Freunde in Morpheus’ warmen Armen. Meine Hoffnungen fokussierten sich auf den Senator aus Illinois, einen funky attorney aus Chicago namens Barack Obama.

Als ich meine Freunde beim Frühstück traf, wollte ich wissen, warum sie so frisch waren. “Warum seid ihr so frisch”, fragte ich blauäuigig, “ihr habt doch auch die Nacht vor dem Fernseher verbracht!” “Haben wir nicht”, war ihre Antwort.“ “Aber es ist doch eminent wichtig, ja von weltpolitischer Brisanz, mitzuverfolgen, wer der wichtigste Mann der Welt wird.” “Schau mal, Andrea”, sagten meine Freunde, “wir sind hier in Russland. Es ist das größte Land der Welt. Es mag nicht das beste Land sein, aber es ist sehr groß. Und stark. Und es hat alles, was es braucht. Industrie, Bodenschätze, Wissenschaftler, Künstler, Geschichte. Und ja, auch uns, Intellektuelle, kritische Geister. Du musst verstehen: Für Russland ist es völlig egal, wer Präsident von Amerika ist.”

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 12.11.2016.

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