Die gute alte Zeit

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 9.4.2016.

Früher sei alles besser gewesen, lautet ein prominenter Befund. Kaum jemand ringt sich zur gegenteiligen Befindlichkeit durch, dernach früher alles schlechter gewesen sei. Diese Diskrepanz hat weniger mit Geschichtsklitterei zu tun als mit der Gnade des Vergessens. Nichts wird so gut der Erinnerung entzogen, wie das Schlechte. Erinnert sich noch jemand an Schulterpolster? Lebertran? Vollmilch in Plastiksäcken? Zahnbehandlungen ohne Betäubung?

Wer sich heute an eine gute alte Zeit erinnern möchte, wählt die 70erjahre, eine Zeit, in es noch Übersicht gab. Aus dem Ausland kamen nur Uwe und Ivo, und der Orient war noch eine Projektionsfläche für sexuelle Abenteuer. Der Eiserne Vorhang hielt die Bösewichte draussen, und besser noch: Gebaut hatten ihn die Bösewichte selbst. Das Fernsehen war farblos und unschuldig, im Winter fiel landesweit Schnee, Gespartes warf Zinsen ab, und ins Kino ging man zum Schmusen oder Schluchzen. Manchmal auch zu beidem. Sex wurde der Fortpflanzung entwunden und die Fortpflanzung der Kernfamilie. Auch politisch warf die Zeit Früchte ab. Die Sozialdemokratie entdeckte die Mehrheit, die Klerikalen den Liberalismus und das Dritte Lager das Pfeiferauchen.

Offiziell war der Blick in die “Zukunft” gerichtet. Bastelhefte versprachen Städte unter Wasser, die Besiedelung von Mond und Mars, den Atommeiler für den Gemeindebau und die Welternährung aus Abfall und Kunststoffen (letzteres sollte später Wirklichkeit werden).

Der starre Fernblick nach Utopia zollte Tribut. Die Schnitzellandseele reagierte mit Retrospektion, “Nostalgie” genannt. Frühreich gewordene Städter kauften sich Bauernhäuser in entvölkerten Gegenden, befüllten hölzerne Scheibtruhen mit Gartenflora, sammelten alte Bügeleisen, Setzkästen und trugen Omas Fetzen auf. Die Jahrundertwendegestänke Patschuli und Lawendel wurden olfaktorische Leitmotive und der Rübezahlbart der Gründerzeit besiedelte die Wangen Stromgitarre spielender Männer.

Früher war alles besser. Sogar die gute alte Zeit war früher besser.

Ein Gedanke zu „Die gute alte Zeit“

  1. Fürchtet euch nicht, sehet, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird; heute findet die Designation einer Erzherzogin von Unter-Österreich statt… Jubel bricht unter den privilegierten Ständen aus: vivat Hannerl I.!!! Auch das Volk jubelt und der alte P. täte auch gern jubeln, aber… er läßt sich nichts anmerken. Nicht einmal unter dem apostolischen, alten Prohaska waren die Zeiten so gut wie die, die da auf uns zukommen werden…

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