Bingen bis der Doktor kommt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 13/2016 zum 30.3.2016.

Liebe Frau Andrea,
mein Freundeskreis quält mich zusehends mit mir unbekannten Begriffen. Wie ich vernehme, ist jetzt Pintsch-Watching angesagt. Okay, ich steh auf der Leitung und will mich nicht als Dau outen. Was das ist, weiß ich nämlich auch nicht. Bitte um Hilfe!
Liebe Grüße, Brigitte Wolkertshofer, per Postkarte

Liebe Brigitte,

ohne allzusehr in die Qualitätsdebatte zu Ihrem Freundeskreis einzugreifen, wollen wir die von Ihnen mitgebrachten Begriffe beleuchten. Als Dau, eigentlich “DAU” bezeichnen Reisende durch die informationstechnologische Galaxis den “dümmsten anzunehmenden User”. Das Akronym enstand in Anlehnung an den GAU, den “größten anzunehmenden Unfall” und stellt sich in den Dienst der kaum nachweisbaren Haltung, Programme, Gerätedesign und Benutzeroberflächen auch für unbegabte Benutzer zu optimieren. Das Englische kennt den DAU in semantisch abweichender Form als “luser”, zusammengesetzt aus “looser” und “user”. Aus dem Angloamerikanischen kommt auch der erste von Ihnen erwähnte Begriff. Er schriebe sich ebenfalls anders als von Ihnen kolportiert. Mit “Binge”-Watching bezeichnet man den staffelweisen Konsum von Fernsehserien. Möglich wurde diese Rezeptionstechnik durch die Verbreitung bereits gesendeter Serien als DVD-Editionen. Dutzende Folgen einer Serie konnten nun hintereinander angeschaut werden, als Limit galt und gilt nur mehr der Zuschauer und seine geistige und körperliche Leistungsfähgkeit. Mit der Marktreife von Streaming-Diensten wie Netflix Amazon Video, Flimmit und anderer Content-Anbieter etablierte sich Binge-Watching entgültig als Rezeptionsform. Serien werden heute schon in Hinblick auf das Betrachten am Stück produziert und als Gesamtstaffel zugänglich gemacht. Woher aber kommt der Begriff selbst? Das Englische versteht unter Binge-Drinking das haltlose Rauschtrinken. Es leitet sich von einem Zeitwort ab, mit dem das Einweichen eines hölzernen Gebindes oder Fasses in Flüssigkeit bezeichnet wurde. Sprachlich würde Binge-Drinking also eher dem “Weichtrinken” entsprechen, als der direkten Übersetzung “Komasaufen”. In der deutschsprachigen Zuschauerwelt hat sich für das Binge-Watchen dennoch der Neologismus “Komaglotzen” etabliert. Prost!

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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