Wirtschaftsflucht und Fluchtwirtschaft

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 07/2016 zum 17.2.2016.

Liebe Frau Andrea,
ich habe einen Freund, der ist, wie viele andere Österreicher auch, vor Jahren nach Deutschland gegangen, weil er sich dort ‘ein besseres Leben‘ erwartet hat (was meines Wissens durchaus erfüllt worden ist). Ist mein Freund auch als Wirtschaftsflüchtling zu bezeichnen?
Fragt sich und Sie
Walter Stach, Laimgrube, per Email

Lieber Walter,

bei der Klärung dieser Frage betreten wir vermintes Gebiet. Die Begriffe und ihr Inhalte sind politisch besetzt und hefig umstritten. Gewissermassen sind die verwendeten Vokabel, Bezeichnungen wie ‘Asylant’, ‘Migrant’, ‘Flüchtling’, selbst Waffen im politischen Infight. Weitgehend in den Hintergrund getreten ist der pejorative Gebrauch des Wortes ‘Ausländer’. Auch die Grenzen moralischen Handelns und korrekten Sprechens sind nur scheinbar mit Zäunen geschützt. Was ist schon moralisch und was korrekt?

Zurück zu ihrem Freund. Die Bezeichnung Wirtschaftsflüchtling hatte und hat in den rechten Flügeln der bürgerlichen Schwesternparteien CDU/CSU Konjunkturen, die sich Anfang der 80erjahre etablierten. Der Begriff war schon davor für Einwanderer aus dem sogenannten ‘Ostblock’ verwendet, worden, denen direkte politischen Fluchtgründe abgesprochen wurden. Er konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Erst Ende der 70erjahre wurde er wieder aufgegriffen und mit ihm nun vor allem Asylbewerber und Migranten aus der Dritten Welt punziert.

Inwieweit Österreicher aus deutscher Sicht als Asylbewerber, Migranten, Gastarbeiter oder Wirtschaftsflüchtlinge verstanden werden, können wir aus hiesiger Perspektive nicht schlüssig beantworten. Zum unklaren Befund gesellt sich die Erfahrung eines Sympathiebonus, mit dem Österreicher in Deutschland traditionell bedacht werden. Dass Unsereins in Deutschland je als Flüchtling auch nur irgenwelcher Art betrachtet worden sei, entzieht sich unserer Kenntnis. Österreicher werden deutscherseits eher in Österreich selbst als antigermanische Ökonomieprofiteure wahrgenommen, dies vor allem in touristischen Zusammenhängen. Ihre Anklage gegen den ausgewanderten Freund steht offiziell also auf wackeligen Beinen, inoffiziell ist sie wohl mit einem “na ollaweu” zu beantworten.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „Wirtschaftsflucht und Fluchtwirtschaft“

  1. Liebe Frau Andrea, Nach Ihrer Sowohl-als-auch-Antwort auf meine Frage nach der Deutung des Begriffs „Wirtschaftsflüchtling“ für die Menschen, die nach Europa in Erwartung ‚besserer Lebensbedingungen‘ kommen, drängt sich mir eine artverwandte Folgefrage auf: Wären etwa jene US-Großkonzerne, die ebenso ‚ein besseres Leben‘ in Europa suchen, vorhandene ‚(Steuer)grenzzäune‘ durch ‚(Steuer)schlupflöcher‘ überwinden und mit ihren Gewinnen zum Beispiel nach Irland flüchten, weil sie der ‚Willkommenskultur‘ dieses Landes in Bezug auf die zu erwartende steuerliche Mindestleistung vertrauen, auch in den Begriffsbogen „Wirtschaftsflucht-Fluchtwirtschaft“ einzuordnen?

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