Es war heiß

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Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 1.8.2015.
 
Temperaturen gelten als sichere Refugien der Individualität. Was die eine für kalt hält, treibt dem anderern schon den Schweiss ins Gesicht. Auch in der Bewertung geistiger und künstlerischer Vorgänge greifen wir gerne zu Metaphern aus der Wärmewelt. Kants Geisteskunst ist für die einen kühl und klar wie ein Königsberger Oktoberlüftchen, für die anderen malte Leonardo wärmste Chiaroscuri, temperiert von toskanischer Maienmilde. Der hitzige Heissporn Caravaggio hielt sich werkkonform im fiebrigen Rom und im gleissenden Messina auf. Kälte, Kühle, Wärme und Hitze werden im Universum der Talente nicht in Gut und Böse aufgespalten.
Anders nehmen wir die Rolle der Temperatur in der Nationenkritik wahr. Hier gibt es ein drastisches Bewertungsgefälle zugunsten der Kälte. Skandinavier und Holländer gelten ethnopsychologisch als kühl und kalkulierend, also grundgut, Deutsche und Schweizer als idealtemperiert und damit besser. Bei Franzosen und Österreichern (und den temperaturdepressiven Slawen) schmelzen die Tugenden ökonomischen Handelns, während der Südländer Lebensumstände – brütende Sonne und heisse Winde – klares Denken und klugen Handelns gänzlich behindern. In dieser Beziehungen dienen Grieche und Griechin als ultimative Projektionsfläche für Vorurteile. Die Hellenen gelten als temperaturbeschädigt. In extremer Lesart, sprich in deutscher, heißt das: Faul und unberechenbar, hinterlistig und dröge, unvorbereitet und nachlässig. Hausaufgaben? Oxi.
Der Primat der Kälte geht gewiss mit der Heroisierung des Kühlschranks einher. Sie macht vergessen, dass die Menschheit und ihre grossen Kulturleistungen auf Wärme, ja Gluthitze gebaut sind. Kein Kochen ohne Feuer, kein Brennen von Ziegel und Keramik, kein Schmieden ohne die Hitze der Esse. Ja, schon, aber! In griechischer Hitze leidet das Denken. Die Inspiration. Ach ja? Was wohl Homer dazu gesagt hätte? Was Platon, Pythagoras und Ptolemäus? Was Euklid, Eratosthenes und Euripides? Was Sokrates, Sophokles und Sapho? Und was Aristophanes, Archimedes und Aristoteles?
Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 1.8.2015.

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