Fangen, Entkommen und das Zwischenreich des Leo

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 19/2015.

Liebe Frau Andrea,
als Steirer frage ich mich schon seit längerem, woher der, primär in Wien gebräuchliche Ausdruck „im Leo sein” für „in Sicherheit sein” stammt. Hat dies etwas mit den Babenbergern zu tun?
Mit freundlichen Grüßen,
Roman Nussi, per Email

Lieber Roman,

über die weitreichende regionale und soziale Verbreitung des Fangenspiels gibt es weniger Diskussionen als über die Kenntnis des Wortes “Leo” für ein spieltechnisches Freimal. Im deutschen Sprachraum kursieren zahlreiche, sehr unterschiedliche Bezeichnungen für das Asyl im Fangenspiel – Aus, Bahne, Bedeut, Biet, Boot, Bord, Borde, Botte, Botti, Bude, Bunde, C, Christ, Dreier, Frei, Freio, Friede, Halu, Hamme, Haus, Heim, Hola, Hole, Horre, Inne, Kelle, Klipp, Klippo, Kobi, Leo, Los, Lou, Mal, Malle, Mi, Otte, Pax, Pott, Potte, Pulle, Rome, Ruder, Stand, Wupp, und Zick. Das erwähnte “Leo” wird traditionell als Kurzform von Lepod, Lepoid oder Leopold begriffen und mit dem Babenberger Leopold VI., genannt der Glorreiche, Herzog von Österreich und der Steiermark in Verbindung gebracht. In dieser Etymologie wird wahlweise der damaligen Kirche als auch dem Landesherrn ein Asylrecht zugesprochen. Als sagenhafte Freimale werden ein Stein vor der Schottenkirche und ein Ring am Stefansdom als spezifische, asylauslösende Abklatschorte erwähnt. Trotz der bestechenden Evidenzen scheint es sich bei der Verbindung des Leo im Fangenspiel mit dem Babenbergerherzog um ein volksetymologisches Konstrukt zu handeln. Größere Wahrscheinlichkeit dürfen wir einer Herkunft zusprechen, die eine Verwandtschaft des Leo mit dem mittelniederdeutschen “le(he)” und dem altsächsischen “hleo” (in der Bedeutung “Schutz, Decke”) sehen. Le(he) und hleo kommen vom gemeingermanischen *hlewa, “schützender Ort, Obdach. Seglern ist das Wort freilich von “Lee” bekannt, der dem Wind abgekehrten, (wind)geschützten Seite des Schiffs. Über Zusammenhänge zwischen “Lee” und “lau” (mild, warm) diskutiert die Sprachwissenschaft noch. Gendermässig können wir auch Differenzierungen anbieten. So bezöge sich “der” Leo auf den Herzog, “das” Leo auf die Funktion des Obdachs. Das ursprüngliche Uraltwort zu Leo, hleo und *hlewa, war jedenfalls feminin. Die Leo also.

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