Das Stockerl

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Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 14.2.2015.
26 Tage hat sich der österreichische Schriftsteller Jura Soyfer in Freiheit befunden. Im Zuge einer Amnestie für politische Gefangene ist er entlassen worden. In sicherer Erwartung einer abermaligen Verhaftung nach dem Anschluß Österreichs an Hitlerdeutschland beschließt er, das Land zu verlassen. In dem schlichten, aber existentiellen Vorhaben, sein Leben zu retten.
Soyfer hat keinen gültigen Pass, an eine “normale” Ausreise ist nicht mehr zu denken. Mit seinem Freund Hugo Ebner fährt er am 13. Februar 1938, einen Tag nach dem Anschluß, in einem überfüllten Schweizer D-Zug von Wien nach Bludenz und von dort mit der Montafontal-Bahn nach Schruns. Die beiden steigen schliesslich mit Schiern zum tiefverschneiten Luftkurort Gargellen auf. Unter dem Vorwand, eine Schitour zu unternehmen, wollen Soyfer und Ebner über das Schlappiner Joch in die rettende Schweiz flüchten. Am Nachmittag, schon hinter Gargellen, werden sie angehalten und perlustriert. (Die Gendarmeriepatrouille ist vermutlich ebenfalls auf Schiern unterwegs). In Ebners Rucksack finden die Beamten eine Sardinenbüchse, die in eine Gewerkschafts-Zeitung eingewickelt ist. Der jüngste der drei Gendarmen, ein glühender Nazi, will sich schon in den allerersten Tagen der ‘Ostmark’ seine Sporen verdienen. Daß die beiden Angehaltenen etwas Gedrucktes mit sich führen, ist Grund genug zur Verhaftung. Soyfer und Ebner in der Folge ins KZ Dachau und später ins KZ Buchenwald. Soyfer stirbt dort 1939 an Typhus, Ebner kommt frei und kann nach Großbritannien emigrieren.
In der Geschichte dieser Verhaftung vermählen sich Groteske und Tragödie der österreichischen Königsdiziplin. Ausgerechnet eine Schitour dient der Camouflage einer Flucht. Das Corpus Delicti ist eine Zeitung. Ein Nazi-Gendarm auf Schiern sichert sich einen “Stockerlplatz” als Vorarlbergs frühester Verhafter. Die Verhafteten sind die besseren Schifahrer, aber sie haben den schlechteren Startplatz. Ein sozialistischer Rechtsanwalt und ein jüdischer Literat unterliegen gegen das Team mit dem Heimatvorteil.
Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 14.2.2015.

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