Meine Ordnung leidet unter dem Chaos

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Autorin und Zeichnerin Andrea Maria Dusl wohnt in einer Wiener Biedermeier-Wohnung, hätte aber gerne eine Flugzeughalle. Foto © Lisi Specht

Vor langer Zeit errichtete die Wiener Autorin und Zeichnerin Andrea Maria Dusl einen Legoturm. Dieser ist nun fixer Bestandteil der ansonsten reduzierten Biedermeier-Wohnung, erfuhr Wojciech Czaja. 

6. Jänner 2013, 21:45.

„Vor vielen Jahren hatte ich einmal einen Anflug langer und ausgiebiger Depressionen. Durch Zufall habe ich erfahren, dass C. G. Jung im Garten seines Hauses, um seiner eigenen Depression zu begegnen, einen Turm errichtet hat. Ich dachte mir: ‚Super Idee, Herr Jung! Das ist das Beste, was du mir je geraten hast!‘ Und so habe ich beschlossen, ebenfalls einen Turm zu bauen, allerdings nicht aus Ziegel-, sondern aus Legosteinen.

Ich bin damals durch sämtliche Spielzeuggeschäfte Wiens gelaufen und habe in der Lego-Auslieferungsstelle in Auhof sämtliche Steine in Schwarz und Blau aufgekauft. Damals konnte man Legosteine noch solo kaufen! Gebaut habe ich den Turm anhand eigener Pläne, nahm mir dann aber die künstlerische Freiheit, diese während des Baus abzuändern. So wie in der Gotik.

Insgesamt habe ich an diesem Turm – sämtliche Stürze und Wiederaufbauten miteinbezogen – einige Monate herumgebaut, wobei ich sagen muss, dass das Zerbrechen eines solchen Turmes eine tiefgehende Katastrophe im persönlichen Bereich darstellt. So mit Heulkrämpfen und allem Drum und Dran. Der Turm ist jetzt 2,85 Meter hoch und besteht aus circa 15.000 Steinen. Bei der Fertigstellung war ich wieder gesund.

Ich habe noch mehr Legosteine. Ich glaube, es sind einige zigtausend, die sind aber in Kisten verpackt. Vielleicht baue ich ja eines Tages wieder einmal einen Turm. Ich komme ja aus einer Architektenfamilie, und da wird man mit der Faszination des Planens und Errichtens schon als Kind infiziert. Abgesehen von Lego jedoch konterkariere ich diese Gabe mit dem bewussten Nichtbauen in meiner rund 80 Quadratmeter großen Wohnung.

Konkret: Ich habe fast keine Möbel. Auch keine Kästen. Mein Hab und Gut ist in blauen Transportkisten verpackt. Und dieses Blau ist so schiach und so unfassbar blau, dass es in der Masse fast schon wieder schön ist. Insgesamt habe ich an die 80 Kisten, die mit Werkzeugen, Gelacken und Gespachteln, mit Tonbändern, Familienfotos und Reiseführern gefüllt sind. Wobei die Ordnung noch etwas unter meinem Chaos leidet. Die Gewürze befinden sich unter Weihnachten. Das ist nicht sehr praktisch, denn das eine braucht man oft und das andere nicht so oft. Das muss ich noch ändern.

Generell kann ich sagen, dass ich eine Freundin der mobilen Möbel bin. Immobiles liegt mir nicht. Auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass ich in diesem Biedermeier-Haus in der Leopoldstadt aufgewachsen bin und hier schon seit meinem dritten Lebensjahr wohne. Einbaumöbel machen mich unglücklich. Ich will, dass alles verstellbar ist. Küche, Badewanne und WC sind ein ganz fairer Kompromiss. Das einzige immobile Ensemble, auf das ich niemals verzichten könnte, ist mein Handapparat. Manche sagen auch Bibliothek dazu. Meine Bücherordnung hat Struktur, und trotzdem finde ich nichts. Alles, was unter 30 Euro kostet, kaufe ich lieber ein zweites Mal, anstatt es zu suchen. Das ist echt mühsam.

Im Rahmen der Reduktion meiner Lebensinhalte lebe ich ansonsten so, dass alles auf einem einzigen Tisch stattfinden kann. Ich glaube, in diesem Punkt bin ich japanisch veranlagt. Von den Japanern, zumindest bilde ich mir das ein, habe ich übrigens auch die Neurose übernommen, dass in meiner Wohnung alles rechtwinkelig sein muss.

Die Wohnung, von der ich träume? Das wäre eine Halle in der Dimension einer Flugzeughalle, sagen wir so mit 10.000 Quadratmetern. Es würde keine Wände geben, und das Bett würde ich hinstellen, wo immer ich gerade will. Sonst wäre alles leer. Da könnte ich dann sogar auf meinen Handapparat verzichten. Wenn ich mir eine Wohnhalle leisten kann, dann kann ich mir auch einen Buchbutler leisten.“
Interview: Wojciech Czaja für DER STANDARD, 5./6.1.2013)

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