Versuch über die Farbe Gelb

Andrea Maria Dusl für die Salzburger Nachrichten. 17.8.2012.

Erschienen September 2012 in der Beilage „pur“ 08.

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Als ich begann, ein Kind zu sein, gab es nicht viel. Und als das wenige mehr wurde, teilte es sich. In das Dahinter, die Kulisse, die Welt. Und in das in den Händen, das Greifbare, das Gegriffene. Ich lebte in einem hohen Haus am Ufer der Wien, es trug eine grosse Weltkugel und roch nach Moderne. Die Welt, das Entfernte, war also am Dach, hinter den Fenstern, hinter der kleinen Freiheit, die ich mit meinen Händen erreichen konnte. Das erste, an das ich mich erinnere und das nicht Geruch war, Gesicht oder Stimme, war ein grosser Löffel. Er war weich und elastisch, auch wenn ich diese Worte noch nicht kannte. Er hatte ein nach innen gedrücktes Gesicht, einen dünnen Hals, lange hängende Schultern und einen zarten, luftgefüllten Leib. Wenn man ihn drückte, quietschte er. Und dies nur, wenn man ihn vorher Luft hatte holen lassen. Der grosse Löffel aus weichem Plastik war mein erster Freund, noch vor allen Puppen. Lange davor. Und er war Gelb.

Ich hätte nicht sagen können, dass er dies war, aber ich wusste es. Ich wusste gelb, bevor ich das Wort dazu kannte. Meine Erinnerung flüstert mir zu, der Löffel habe die Farbe seiner Konsistenz gehabt, ein fahles, unaufgeregt schwefeliglaues Gelb, vielleicht den wächsernen Ton, den manche Äpfel annehmen in schattigen Sommern. Dieses Gelb war die Farbe, die als erste auf die Bühne trat, die ich mit meinen Händen greifen konnte. Keine andere Farbe hätte mein quietschender Löffel haben können als diese, nicht sommerhimmelfarben, nicht grasfarben, nicht roterhutfarben. Dinge, so verstand ich es, hatten ihnen eigene Farben, sie waren unverwechselbar, unik. Der Sand in Baden war strandbadfarben, das Wasser in Aussee grundlseefarben, das zweirädrige Motorpferd der Nachbarbauern Amon traktorfarben.

Das ging so mit den Farben, die bei sich waren und hatte seine Ruhe, es hatte seine Richtigkeit, es stimmte. Bis die Eltern das Lego brachten. Das Lego. Es hiess das Lego in unserer Familie, es war geheiligt durch den Artikel. Das Lego durchdrang jeden Gedanken. Dies lag ganz sicher daran, dass es sich in jeden Gedanken verbauen liess, noch bevor dieser gedacht war. Das Lego kam aus einer Wirklichkeit jenseits aller Vorstellungen. Und es kehrte auch immer wieder dorthin zurück. Anders als der quietschende Löffel und die Puppe mit den grünen Haaren, ungleich dem Blau unsere Frühstückstassen war das Lego kein einzelnes Ding und es hatte keine eigene Farbe. Das Lego war ein Prinzip. Das Lego war greifbar und gegenwärtig und doch war es sakral und rätselhaft. Ein Baustein mit acht Noppen war gleichzeitig alle Bausteine mit acht Noppen! Und noch gleichzeitiger war er zwei Bausteine mit vier. Und deren Zweizahl alle. Lange stritt es in meinem Kopf, welches die richtige Farbe des Legos war. Das Lego gab es in rot, in weiss, in blau. Rot, so erstritt es die Legokommission in mir, sei Kraft seiner Häufigkeit, vor Weiss und Blau die richtige Farbe des Lego. Plastiklöffelfarbenes Lego gab es nicht. Plastiklöffelgelb musste also ein Irrtum sein im Farbkonzept der Welt. Und Bananengelb. Und das kreischende Gelb Schönbrunns und seiner Trabanten. Das seifige Gelb der Zitronen war so falsch wie das Kronengelb im schwedischen Fahnenkreuz. Das giftige Gelb der Bienenleiber war fehl, das kränkelnde der Primeln und das bleiche des Postautobus. Wenn es ein Gelb gäbe, das richtig wäre, dann musste es Legogelb sein.

Und das kam eines Tages, wie die Sonne in den Tag. Es leuchtete wie Gold und brannte helle Löcher in die Welt. Die Farbe hatte einen Namen. Gelb. Nicht mehr als das: Gelb. Und weil es das Gelb des Legos war, war es das Gelb aller Gelbe, das allerrichtigste Gelb, das Zentralgelb, das Massgelb. Das Gelb, das Gelb sein durfte, ohne einen Zusatznamen zu tragen. Das Lego, der Weltbaukasten hatte nicht nur das richtige Rot in unsere Welt getragen, das gültige Blau, sondern auch das einzige Gelb. Und seine Richtigkeit tanzte das Gelb auch am Parkett der familiären Mythen. Gul, schwedisch für Gelb, sprach man so aus wie Jüllig, so hiess meine schwedische Mama mit Familiennamen. Und Gelpke war der Mädchenname meines Vaters Mutter. Das waren Koinzidenzen, gewiss, und heute messe ich ihnen nur erinnerungscharismatische Bedeutung zu, aber als ich mit dem Sprechen begann und in die Worte Bedeutungen räumte, da fand ich grosse Richtigkeit darin. Im Laufe meiner Reise durch den Malkasten Welt mussten sich alle Gelbe an dem einen Gelb messen, dem Farbton der gelben Legosteine.

Das feiste Leuchten der Dotterblumen kam ihm von allen am nächsten. Wenn ihre Blätter noch einen kugeligrunden Kelch bildeten. Die Luft musste dick sein und warm, die Sonne am Himmel stehen, ein Frühlingsgewitter aus den Ambosswolken drohen, dann, vielleicht dann, konnte, den richtigen Betrachtungswinkel vorausgesetzt, eine Dotterblume das Gelb aller Gelbe zeigen. Selten gelang es auch einem weichgekochten Ei, einem angeregneten New Yorker Taxi oder dem Schnabel eines Tukans.

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