Gymnasial Ideal Egal

für meine Gastkolumne in den Salzburger Nachrichten vom 15.1.2011
Das Leben ist jenes Gefängnis, das wir uns bauen, wenn wir in die Schule gehen. Man schrieb das Jahr 1970, meine Eltern sassen vor einem Eissalon am Wiener Schottenring und löffelten Eiscafé. Am Nebentisch, so erzählten sie mir Jahre später, sassen Schülerinnen und Schüler, nett und adrett, erfreulich anzusehen, gescheit und beredt, wohl erzogen und höflich, sie parlierten in einer schönen Sprache über interessante Dinge. Wo sie denn in die Schule gingen, wollten meine Eltern wissen. Ins Gymnasium! Dort lehre man sie Griechisch und Sanskrit, der Musen Zauber, der Dichter Werke, es werde differenziert und integriert und kalkuliert, mit Rechenschiebern aus Elfenbein! Wären meine Eltern religiös gewesen, hätten sie von Heiligenscheinen berichtet, die diese Wunderkinder hinter ihren Scheiteln trugen. Mein Schicksal war besiegelt, meine Zukunft bestimmt, ich sollte eines dieser Kinder werden, nett und adrett, erfreulich anzusehen, gescheit und beredt, wohl erzogen und höflich.
Ich erinnere mich gut an diese Zeit, sie roch nach Zukunft und zugleich miachtelte es düster aus den unversperrten Kellern die Vergangenheit. Warum Bruno Kreisky so langsam sprach, war ein konservativer Witz dieser Tage. Weil er erst alles aus dem Hebräischen übersetzen muss. Har har. Und bald mache er diesem Österreich den Garaus. Er wolle die Proleten in die Schule lassen, ins Gymnasium, in den Heiligen Hain. Wie will er das machen, Kreisky, dieser Schuft, empörten sich die Professoren und Studienräte und der Dünkel wallte ihr Haar. Er will die Aufnahmeprüfung abschaffen! Bald würden Hippies hier auftauchen, und Hascher und anderes Langhaargesindel! Sie würden nicht nett sein und nicht adrett, unerfreulich anzusehen, böse wie Bader und beredt wie Dutschke, unerzogen und höflich, und in derber Sprache über hehre Dinge lästern. Über Goethe und Schiller herziehen, Grillparzer mit einer Stromgitarre schänden, Obladi singen und Oblada!
Das Bureau des Herrn Hofrat roch nach Weihrauch und Schuhpasta, es war der grösste Raum im ganzen Schulgebäude, der grösste Raum im Universum. Darin stand ich im Sommer 1970 und legte die Aufnahmsprüfung ab, zwei Wochen bevor sie Dr. Kreisky abschaffen sollte. Meine Eltern waren schon dagewesen, hatten ihre Vermögensverhältnisse dargestellt und die Qualität ihrer Bürgerlichkeit nachgewiesen, über Konzertsäle geplaudert und sizilianische Ruinen. Und jetzt stand ich da und der Herr Hofrat tätschelte meinen Kopf, liess mich 143 mit sieben muliplizieren, die D-Dur-Tonleiter singen und dann wollte er wissen, ob ich immun sei gegen die Verfehlungen dieser Welt. Die Beatles, was hältst Du von den Beatles, wollte er wissen, der Herr Hofrat, ein mächtiger Mann, mein Lebensweg stand auf Messers Schneide. Die Beatles, log ich, seien Banditen, das sei keine Musik, sondern Krach. So war das, 1970, als es zuletzt Aufnahmeprüfungen gab in österreichischen Gymnasien. Bevor die Gefängnistore aus den Angeln gehoben wurden. Mögen nie wieder welche eingehängt werden. Und nie wieder ein Hofrat Weihrauch in einen Kinderkopf tätscheln.

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