Rede im Rathaus ::: Freiheit für Hebenstreit!

Essai sur La Liberté, L’Egalité et La Fraternité. 
Andrea Maria Dusl .·.

Rede im Wiener Rathaus, 28.6.2010, anlässlich der Rehabilitierung Franz Hebenstreits.

(–> Wiener Vorlesungen – Franz Hebenstreit, Rehabilitierung eines frühen Demokraten). Alle Texte des Abends hier in einer –> Sonderbeilage der Presse.

Geliebte Schwestern! Geliebte Brüder!

Ich fordere Freiheit für Franz Hebenstreit! Mein Aufruf kommt 215 Jahre zu spät. Franz Hebenstreit wurde am 8. Jänner 1795 hingerichtet. Am Schottentor wurde er aufgehängt, unter dem Johlen derber Dummköpfe, die sich darin gefielen, eine weitere Fackel der Aufklärung in den Brunnen zu werfen.

Franz Hebenstreit war ein Demokrat, er brannte für die Freiheit, für die Gleichheit, für die Geschwisterlichkeit. Am Schottentor, wo sein Licht ausgeblasen wurde, steht heute die grosse Universität des Landes, darin sein Fokus, das Auditorium Maximum.

Auch 215 Jahre nach Hebenstreit wird am Schottentor noch um die Freiheit gekämpft. Für die Freiheit des Denkens, für die Freiheit von Ungleichheit und Standesdünkel. Auch 215 Jahre nach Hebenstreit ist das Schottentor noch eine Richtstätte. Unten am Donauufer steht die grosse Kaserne, sie wurde gegen das Volk errichtet, wurde gebaut, um das Volk mit Waffengewalt von der Revolution abzuhalten. Sein Hauptausfallstor ist auf ebendiese Universität gerichtet, das österreichische Gegensatzpaar Staatsgewalt und Freiheit der Lehre ist in den Stadtplan eingeschrieben.

Am Schottentor werden noch heute, im Jahr 2010, 215 Jahre nach Hebenstreit Studierende von Polizisten zusammengeschlagen. Was ist ihr Verbrechen? Die Forderung nach Freiheit. Das Besetzen kommunalen Eigentums.

Was fürchtet die Staatsgewalt? Sie fürchtet, dass der König seinen Kopf verliert. Mit der Forderung nach Freiheit beginnt der Kopf zu wackeln, mit der Idee der Gleichheit purzelt er.

Hätte Franz Hebenstreit, Bruder im Geiste, Bruder im Licht, seine Sehnsucht nach der besseren Welt, seine Sehnsucht nach einem Leben ohne Neid und Missgunst, ohne Habgier und Ausbeutung, hätte er diese Sehnsucht verwirklicht, lebten wir heute in einem besseren Land.

Dann könnte sich Arigona Zogaj heute so frei fühlen wie Anna Netrebko.

Hätte Franz Hebenstreit seine, unsere Sehnsucht verwirklichen können, hätten wir uns die Metternichzeit erspart, die eiserne Faust nach dem gescheiterten 48er-Revolutionsversuch, das soziale Elend der Gründerzeit, den habsburgischen Völkerkerker, den ersten Weltkrieg, den Ständestaat, den Nationalsozialismus, den zweiten Weltkrieg und wahrscheinlich auch den Holocaust.

215 Jahre nach Hebenstreit leiden wir noch immer an den Echos der aufgezählten Verbrechen. Täter wie Opfer. Die Täter leiden an ihrem Wahn, die Opfer an dessen Folgen.

Die Utopien, nach denen sich Franz Hebenstreit sehnte, sind in diesem Lande noch weitgehend unverwirklicht. In seinen Betrachtungen fand Hebenstreit, “dass der Neid in seinem ausgedehnten Verstande die Hauptquelle aller Laster sei, auf der anderen Seite, dass von dem Krieg zum Prozesse, vom Prozesse zum Raub und zur Plünderei keinen anderen Grund als das Mein und Dein habe.”

In einer Gesellschaft dagegen, in der “alle Natur- und Kunstprodukte nach jedem Bedürfnis gemeinnützig sind, folglich der Erwerb sowie der Genuss gemeinschaftlich”, in einer solchen Gesellschaft sei jedes Laster unmöglich.

Andreas Riedel, der andere prominente revolutionäre Geist jener Tage nennt diese Gedankenwelt euphorisch „Hebenstreitismus oder Kommunismus“.

Neoliberale und Antisoziale, Klerikale und Konservative mögen ihre Ressentiments am Wort Kommunismus erigieren, aber in einer Welt, die Hebenstreit und die anderen Revolutionäre ersehnt und vorgedacht haben, gäbe es die Geschäftsmodelle des Neoliberalismus und Antisozialismus nicht, es gäbe keine Wahrheit in Gott und nicht die Nacherzählung des Beamtenkaiserstaates im Kleinen. Es gäbe Gerechtigkeit und Gleichheit, es gäbe die Souveränität des Einzelnen, gebündelt in der Idee der Solidarität.

In einem Hebenstreitösterreich gäbe es Freiheit, gäbe es Gleichheit, gäbe es Geschwisterlichkeit.

„Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.” Der Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes ist nicht verwirklicht. Österreichs Recht wird hinter den Polstertüren von berufsständischen Kammern und Eigentümerbüros verhandelt, es hat keine Erinnerung an die Revolution, denn die Revolution hat in Österreich nie stattgefunden. Der König hat nie seinen Kopf verloren.

Wer auch immer an seiner statt sitzt, egal, welchen Namen sein Sessel trägt, hat keine Erinnerung an die Macht des Volkes. Wo es keine Erinnerung gibt, gibt es keine Erkenntnis. Es wundert nicht, dass die Republik sich nicht an Franz Hebenstreit erinnert.

Aber wir tun es und wir holen seine Fackel aus dem Brunnen, sie brennt noch und leuchtet. Franz Hebenstreit mag sein Leben ausgehaucht haben, aber seine Ideen brennen. Stürzen wir die falschen Helden von ihren Sockeln, die Kaiser und Könige und Kärntner Sonnen und ihre Büttel und erinnern wir uns an die wahren Helden dieses Landes. Die ersten Demokraten. Die ersten Republikaner. Franz Hebenstreit, Du lebest hoch!

Ich fordere die Freiheit für Dich!

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