Liebe, Kälte, Bäume, Zelte

Es war eine ganz und gar seltsame Zeit. Österreich war ins Trudeln gekommen, Werte hatten ihr Legitimation verloren und die Handelnden waren aus ihren Rollen getaumelt. Andrea Maria Dusl war in der Au. Im Dezember 1984. Vor 25 Jahren.

Für Falter 51/2009

Im Mai 1984 hatte ein durchgeknallter Haufen Prominenter unter grossem Medienaufruhr zu einer “Pressekonferenz der Tiere” gerufen. Der grantelnde Wiener ÖVP-Stadtrat Jörg Mauthe, stets von einer Schwade Zigarettenrauchs umnebelt, kam als Schwarzstorch verkleidet, der Chef der freiheitlichen Jugend und spätere Grüßaugust Hubert Gorbach, parteifarblich korrekt als Blaukehlchen. Peter Turrini, polternder Wirtsstubenintellektueller betrat das Podium als Rotbauchunke und der junge ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas als Kormoran. Primus inter pares war der Publizist Günther Nenning, der seine politischen Verantwortung als sozialdemokratischer Kasperl in der Rolle des “roten Auhirschen” wahrnahm. Die schrille Veranstaltung hatte einen Zweck: Mit den Mitteln poetischer Gschaftlhuberei und politischer Aufmüpfigkeit den Volkszorn gegen ein geplantes Wasserkraftwerk zu erigieren.

Die Gegner waren die Koalition aus Kraftwerksbossen, Gewerkschaft und Innenministerium. Hinter allem thronte schwerfällig und schwach ein beleibter Historiker, den Sonnenkönig Kreisky zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Fred Sinowatz, der recht behalten sollte mit seinem legendären Satz: “Es ist alles sehr kompliziert.”

Ich selbst war damals, um mit Hermes Phettberg zu sprechen, ein kleines Studenty an der Akademie der Bildenden Künste. Neugierig, tatendurstig und alert. Und weil mich das Künstlerleben am Schillerplatz nicht ausfüllte, hatte ich mich erfolgreich an Günther Nenning herangemacht. Der FORVM-Herausgeber und Doppeldoktor war ein beliebtes Ziel für deviante Publizistikgroupies und praktischerweise mit der WG-Kommilitonin meines Freundes zusammen, gehörte also zur Familie. Und eines Tages schepperte das Telefon, Handies gab es ja noch nicht und Günther Nennings  franzeskojosefinische Zeitlupenstimme schnarrte aus dem Hörer. Ob ich Lust hätte, mitzukommen, es sei noch ein Platz frei im Taxi. Es ginge nach Hainburg, solidarisch zu sein mit den Besetzern der Bäume. Zu Verhindern, dass die Au geräumt werde. Aber sicher, sagte ich, schnürte den Rucksack, sagte den Eltern Lebewohl und setzte die Haube auf. Hainburg hatte ich bisher nur vom Postamt gekannt, von der knallvioletten Vierschillingmarke. Dass dort eine Au war, hatte ich nicht gewusst, Wasserkraftwerke hatte ich als herzensgut wahrgenommen und Revolutionen hatte ich bis dahin immer in sozialem Kontext gesehen. Das geplante Bäumeretten hatte immerhin avantgardistisches Potenzial. Und meinen Kumpan, den Dutschkefreund Nenning hielt ich für vertrauenswürdig in revolutionären Dingen.

Mit dem Taxi in die Au. Das hatte etwas großbürgerliches, anarachistisches, man konnte die ganze Aktion auch als großes künstlerisches Happening sehen. Und eines war mir klar: Es wurde Geschichte geschrieben. Es war Krieg. Und ich war dabei!

Meine erste Impression von der Naturschützerfront: Hainburg lag gar nicht in Hainburg. Hainburg war nur das Schlagwort, die Ikone. Das umkämpfte Gebiet selbst lag jenseits der Donau, über eine riesige Hängebrücke erreichbar, in einem Ort namens Stopfenreuth. Hainburg war nicht Hainburg, Hainburg war Stopfenreuth. Im Dorfwirtshaus brodelte es, Prominente gaben Interviews am laufenden Band. Ab in den Wald. Bäume retten.

Vor dem Wald, auf dem Hubertusdamm, standen die Gendarmen. Das Gebiet sei gesperrt, der Zutritt werde verweigert, sagten die Grauröcke. Wir gingen weiter, zwischen den Gendarmen hindurch, einige liefen. Und dann packte jemand meinen Ärmel. So fühlt sich das also an, jetzt bist du verhaftet, in Staatsgewahrsam, dachte ich, als die Gendarmen vier von uns zu fassen bekamen und in ihren VW-Bus bugsierten. Während die Gendarmen versuchten, andere aufzuhalten, öffnete ich seelenruhig die Bustür und begab mich wieder in Freiheit. Jetzt bist du Flüchtende, sagte ich mir. Die Positionen wechselten rasch in diesen Tagen.

Auf Forststrassen ging es in den Wald. Die Menschen gingen in Grüppchen, ganz so wie sie überhaupt in die Au gekommen waren, mit dem Shuttledienst der ÖH, mit Privatautos oder wie wir, mit Nennings Taxi. Alle paar hundert Meter waren Baumstämme und Zweige zu mannshohen “Barrikaden” aufgetürmt. Die Barrikaden der 48er waren das nicht. Diese Barrikaden hier waren symbolisch, man konnte um sie herumspazieren. Ich erinnere mich an Transparente, die über die Äste gespannt waren, Leintücher, mit dünnen roten Buchstaben bemalt. “Donau-Au statt Kraftwerksbau” stand auf ihnen, oder “Wer Bäume fällt, tötet auch Menschen”. Je tiefer wir auf den Fortswegen in die kahle Au vordrangen, desto mehr Menschen trafen wir. Lager hatten sich gebildet, kleine Dörfer, es brummte in ihnen. Manche der Bewohner harrten hier schon aus, seit der Bescheid zur Rodung der Au ruchbar geworden war. Es gab Küchenzelte, Infostände, Campingzelte, Tipis aus Plastikplanen, Lagerfeuer, Transparentwerkstätten, Kindergruppen, Pow-Wow-Wiesen. Und zwischen Studenten und Landadeligen, Altachtundsechzigern, Naturfreunden und Obskuranten taumelten Prominente durch den Wald. André Heller, die Denkerstirn aufgesetzt, Erika Pluhar das Haar walkürenhaft geöffnet, Friedensreich Hundertwasser mit Hofstaat und Zwölfmannzelt. Und dazwischen wieselte Freda Meissner-Blau herum, jederzeit an ihrer leuchtendgrauen Brillofrisur erkennbar.

Nach den ersten Ausflügen mit dem Taxi hatten auch wir uns Zelte besorgt, das heisst, Nenning hatte ein Zelt gekauft, im Hochalpinistengeschäft und darin sollten wir alle lagern. Ich gestehe, das war mir zu intim, Nenning war kein Kind von Traurigkeit, er nahm Herztabletten und hatte den Zenit seiner Schaffenskraft überschritten, aber er war brünftig wie ein junger Eber. Meine erste Nacht verbrachte ich nicht an seiner Seite, sondern in Lager Zwei, im Dezembernebel, an einem der Lagerfeuer im Stroh liegend. Der Unbekannte neben mir sprach auffallend wenig, er hörte gerne zu, er war aufmerksam, neu hier, wie er sagte, wollte wissen, wie das alles hier funktionierte, wer wer sei, und was passiere. Ob er mir seinen Unterschenkel als Polster rüberstrecken könne, fragte ich den Mann – er trug blaue Moonboots. Gewiss. Meine erste Winternacht habe ich auf den luftgepolsterten Winterstiefeln eines Staatspolizisten verbracht. Es sollte nicht das einzige intime Erlebnis mit der Staatsmacht bleiben.

War es in der selben oder der darauffolgenden Nacht, geheimnisvolles Funkgeräterhabarber lockte mich an. Es war stockdunkel, meine Augen waren verklebt vom Rauch der Lagerfeuer. Jederzeit sei mit dem Eintreffen von Gottfried Küssel zu rechnen, so ging das Gerücht aus dem Walkie-Talkie, der Neonazi habe die Stiefel angezogen, um mit seinen Recken die Linken im Wald ordentlich zu vermöbeln.

Sehr klug, sagte ich zum Mann mit dem Funkgerät, den Funk der Bullen abzuhören, blendende Idee. Ich bekam keine Antwort. Wortlos standen wir neben einem Barackenwagen, den die Kraftwerkserrichter auf einer Lichtung geparkt hatten. War es seine Idee oder meine? Jedenfalls brachen wir gemeinsam den Bauwagen auf, der Funkgerätemann und ich, machten es uns im fahrbaren Büro gemütlich und entfachten Feuer im kleinen Kanonenofen.

Eine seltsame Nacht. Nenning zeugte in seinem Hochleistungsbiwak gerade ein Kind, Friedensreich Hundertwasser feierte Party mit Green-Groupies, Schamanen trommelten sich in Extase und im Plastiktipi tanzten nackte Punks zu den sedierenden Schwaden eines “Megageräts”. Und ich, ich sass auf einem Stuhl in einem Bauwagon und starrte mit einem Staatspolizisten ins Zweigefeuer. “Glaubst, war des Illegal, den Wagon aufbrechen”, fragte ich den Unbekannten an meiner Seite. “Bevur dass i dafrier, bin i lieber Illegal”, sagte der Mann.

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