Audimaxismus & Utopie

Für meine Kolumne TELESKOP in Ausgabe 60 von planet, der Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt.
In der künstlichen Behaglichkeit des Club-2-Garnitur saßen sie einander gegenüber: Rektor und Hochschülerschaftsvorsitzende, Erzählfürst und Jusstudent, Alt-68er und Wirtschaftskämmerer, Studiermaus und Rebellin. Die Sofarunde des Staatsfunks reagierte spät – schlappe drei Wochen nach der Besetzung von Audimax und anderen Hörsälen – aber immerhin reagierte sie und ließ erörtern, „was die Studenten wirklich wollen”.
Dabei war die Frage völlig falsch gestellt, denn sämtliche Antworten beschäftigten sich damit, was die rebellierenden StudentInnen wirklich NICHT wollen. Überfüllte Hörsäle nämlich, Lotteriesysteme bei der Vergabe von Seminarplätzen und Praktika, Betreuungsverhältnisse im hohen dreistelligen Bereich, die Verschulung der Universität, die Ökonomisierung der Lehre, das Perpetuieren von Klassenunterschieden, die soziale Vererbbarkeit von Bildung.
Geht nicht, haben wir nicht, können wir nicht. Ist utopisch, ist naiv, ist weltfremd, gibt’s nicht einmal in Skandinavien. Rektor, Kämmerer und den konservativen Jusstudenten gingen bald die Argumente gegen die Legitimität der Forderungen aus. Ahnten sie, dass es bei der Besetzung von Audimax und der mittlerweile in die Hundert gehenden Hörsäle in ganz Europa um mehr geht, als um die Frage, wer bei der Vorlesung am Boden sitzen muss und wer die harte Bank drücken darf? Gar um die Frage, wohin unsere Gesellschaft gehen soll? In die nächste Runde eines unmenschlichen Gewinnkarussels oder in die Nachdenkpause eines aufgeklärten Diskussionsprozesses.
Die Forderungen der BesetzerInnen änderten sich ständig, monierte die Protestgegnerin. Das müssen sie auch, konterte die Audimaxistin, das sei das Wesen eines Diskursprozesses. An der Bruchlinie zwischen den beiden Studentinnen wurde das Wesen des Konfliktes unmittelbar sichtbar. Hie eine auf biografische Planungssicherheit Konditionerte, da eine postökonomistische Aufgeklärte, der es um nicht weniger geht, als um das Projekt Weltverbesserung.
Was getan werden kann, muss vorher einmal gedacht worden sein. Kein Wunder also, dass es die jungen Denkenden sind, die Studierenden, die auf den Hebeln der Utopie herumturnen. Die ökonomischen Eliten haben versagt, die großen Denkschulen irren im Dunkeln. Wie soll es weitergehen mit dem Planeten und seinen BewohnerInnen? Es sind die „naiven“ UtopistInnen in den Hörsälen der Alten Welt, die gerade an den neuen Antworten arbeiten. Seltsam nur, dass die „Fuzzy Revolution“ des Jahres 2009 ihren Ausgang in Schnitzelland nahm. Aber wie sprayen es Unbekannte gerade so richtig an deutsche Studentenstadt-Wände? „Wien ist überall!“

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