Der weisse Rabe ist nicht mehr

Andrea Maria Dusl über Paul Flora. Nachruf. Für Falter 21/2009.

 

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Hungerburg, das gelbe Haus. Jeder Innsbrucker wusste, wer dort wohnte. In einer kleinen, zartgelb gefärbten Villa auf der Schulter der Stadt. Hinter Bäumen versteckt, gleich neben dem Gasthaus Linde. Einen Zwetschkenkernwurf von der Seilbahn aufs Hafelekar entfernt. Ein eleganter Herr mit schlohweißem Haar, einem pfiffigen Blitzen in den Augen und jenem vom Lachen aufgefalteten Gesichtsgebirge, das nur Südtirolern in die Wiege gelegt wird. Hungerburg, eine ewige Adresse. Der Mann mit der ewigen Adresse ist nicht mehr. Paul Flora ist in der Nacht auf Freitag den 15. Juni in einer Innsbrucker Klinik im Kreis seiner Familie gestorben. Vierzehn Tage vor seinem 87. Geburtstag.

Als 15jähriger hatte der Vinschgauer Flora jenes Schlüsselerlebnis gehabt, das ihm den Weg zum Künstler eröffnete: Er sah erstmals Zeichnungen von Alfred Kubin und wußte, er wollte Zeichner werden. Er zeichne, räsonierte Paul Flora in einem Katalogtext, um sich selbst zu unterhalten. Er sei also ein gewöhnlicher Egoist, dem es nicht um die Rettung des Abendlandes ginge. Lehren würden von Propagandisten verkündet und wer Botschaften habe, solle ein Telegramm schicken, zitierte er Billy Wilder. Matisse habe sich dazu bekannt, Bilder zu malen, die wie bequeme Sessel wirken, Schwitters wiederum angemerkt, er sei Künstler, und wenn er ausspucke, so sei dies Kunst. „Ich bin für Matisse“, deklariert sich Paul Flora.

Mit der Rigorosität, die jede existentielle Lust begleitet, sass Paul Flora täglich vor Mittag an seinem Tisch in der Floraburg und zeichnete. Setzte behutsam und doch kraftvoll Federstrich um Federstrich aufs Papier. Schuf aus feinen Schraffuren, düster und melancholisch, zarte Wolken, in denen Harlekine turnten und Maskierte, kratze nervöse Strichgewitter aus dem Blatt, die sich zu Bergen, Palästen, und weiten Plätzen schoben, die von dicken Damen bevölkert waren, von hageren Bischöfen und knorrigen Tirolern. Und immer wieder zeichnete Flora Raben. Raben, Raben, Raben.

Privat unbestechlicher und unbeugsamer Homo politicus, hatte der Künstler Flora ein befreiendes Vergnügen daran, über sich und andere zu lächeln, ohne jemandem weh zu tun. Mit milder Melancholie traf er, der sich stets als Unzeitgemäßen betrachtet hatte, den Nagel der Zeit geradezu zärtlich auf den Kopf. Flora sei nicht ohne Traurigkeit, wusste Friedrich Dürrenmatt über den Zeichner von Weltruf: „In seinem Werk sind Welten untergegangen, und wir ahnen, dass auch wir untergehen.“

Meine Zeichnung von Paul Flora ist Produkt eines Kommunikationsunfalls mit Falter-Chefredakteur-Stellvertreter Klaus Nüchtern und nicht erschienen.

Mehr über Paul Flora und meine Besuche bei ihm:
Ich bin für Flora
Paul Flora ::: Der weiße Rabe

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