Der Lü

Luetgendorf.jpgSehr geehrte Frau Andrea,
ein Wort vom Rande unserer Gesellschaft verlangt nach Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit. Der Lü, die häfnbrüderliche Umschreibung des Tschickstummels. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang die Wortschöpfung eines Klienten unserer Einrichtung: „Lü-Pecker“, ein Obdachloser, der Zigarettenstummel vom Boden aufliest.
Benedikt Friedel, Kuturbeauftragter der sozialmedizinischen Drogenberatungsstelle Ganslwirt
Lieber Bendedikt,
die Wiener Gaunersprache kennt den Zigarettenstummelsammler unter der Bezeichnung Tschikarretierer. Zum Ausdruck Lü-Pecker biete ich zwei erklärende Gedankengänge an. Ich erinnere mich an einen Schulkollegen, Kurzweil mit Namen, der sich Lüt, Lütt nannte, denn dieses, so sagte er, sein plattdeutsch für klein, kurz. Lü für kurze Zigarette dürfte dennoch nicht aus Norddeutschland kommen, sondern aus der Regierung Kreisky. Lü war der Spitzname von Kreiskys parteilosem Verteidigungsminister Karl Lütgendorf, einem Ex-General von auffallende kleiner Statur, der 1977 wegen Verwicklung in illegale Waffengeschäfte zurücktreten musste. Lütgendorf starb 1981 unter mysteriösen Umständen. Der offiziellen Version, Selbstmord durch Erschiessen, stehen Gerüchte entgegen, die den Tod Lütgendorfs, der über Jahrzehnte höchste militärische und politische Kontakte pflegte, in die Nähe der Ermordung des ägyptischen Staatspräsidenten Muhammad Anwar as-Sadat rücken. Laut Lütgendorfs Sohn Philipp sei sein Vater, während einer Jagdgesellschaft mit der Nachricht von Sadats Tod konfrontiert, kreidebleich geworden und habe gemeint „er wäre der Nächste”.
dusl@falter.at www.comandantina.com
Für meine Kolumne ‚Fragen Sie Frau Andrea‘ in Falter 32/2008

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