Die österreichische Oberfläche ::: Chronisch krank
Interview

Dusl-Oberflaeche-Cover-220.jpgAm 22.11.2007 hat sich Veronika Leiner mit mir im Café Wortner in der Wiedner Hauptstrasse getroffen und mich für den Anzeiger zur „österreichischen Oberfläche“ interviewt.
……………………
Die Filmregisseurin und Essayistin Andrea Maria Dusl untersucht in ihrem kulturphilosophisch – anekdotischen Buch Die österreichische Oberfläche (Residenz Verlag) „das Land, an dem wir alle leiden“.

Sie sind Filmemacherin, Zeichnerin, kommen von der bildenden Kunst her, in der öffentlichen Wahrnehmung sind Sie aber am bekanntesten als Kolumnistin im Falter. Welchen Stellenwert hat das Schreiben für Ihr Arbeiten?

Außer E-Mails und handschriftlichen Notizen, die ich für meine Filme mache, gibt es eigentlich nur das Schreiben an etwas, das schon ein Projekt ist. Ein Drehbuch ist ja eine ganz besondere Art von geschichtenerzählendem Schreiben, das aber in dieser Form natürlich nie publiziert wird. Drehbücher sind Literatur, die nicht gelesen wird, jedenfalls nicht von einem lesenden Publikum. Schreiben ist bei mir eigentlich immer etwas, wo die Öffentlichkeit schon dabei ist. Die Kolumnen, oder wenn ich eine Geschichte für eine Zeitung schreibe, oder wenn ich, was ich jetzt begonnen habe, zwischen Buchdeckel etwas hineinschreibe. In Zeitungen ist beträgt die Verzögerung zwischen Schreiben und Veröffentlichen ja manchmal nur ein Tag, da ist das Schreiben etwas sehr Unmittelbares, etwas sehr Fokussiertes und sehr Präsentes. Und etwas, was ich eigentlich auch ununterbrochen tu, es gibt keinen Tag, an dem ich nicht schreibe, und es wird sozusagen jedes Mal besser, es gibt ein ständiges In-der-Form-sich-Verbessern.

Die Texte für Die österreichische Oberfläche sind teilweise ja aus Kolumnen entstanden.

Das, was da zwischen diesen beiden Deckeln vorliegt, ist zu ungefähr einem Fünftel schon einmal in der einen oder anderen Form irgendwo gestanden, aber es gibt keinen Buchstaben in dem ganzen Buch, den ich nicht umgedreht hätte. Ich habe das nicht nur hineingehängt, so wie es ist, sondern tatsächlich auch umgeschrieben, entweder inhaltlich oder in der Form bearbeitet. Ich habe die Texte weitergeschrieben oder fortgeschrieben. Die anderen vier Fünftel, die sind ganz neu passiert. Aber es sind zum Teil Gedanken, die schon viele Jahre in mir herumspuken, manchmal ein ausführlicherer Gedanke, und manchmal wie Schneeflocken, die ganz einsam an einem Sommernachmittag plötzlich durch die Gegend wehen, und ich hab keine Ahnung, warum jetzt eine Schneeflocke vorbeikommt, und sie ist auch sofort wieder weg, aber ich erinnere mich daran. Und aus diesen verschiedenen Zugängen besteht dieses Buch. Warum ich dieses Generalthema der österreichischen Oberfläche gewählt habe, das hat sich eigentlich daraus ergeben, dass alle diese Geschichten, Erlebnisse, Erzählungen, Essays, manchmal sind es auch fast journalistische Glossen, im weitesten oder im engsten Sinn mit dem Land zu tun haben, an dem wir alle leiden.

Dieses Leiden war der Ausgangspunkt für das Schreiben?

Ich bin hocherkrankt an Österreich, es ist wirklich tragisch, und es ist chronisch, und ich habe mir das, so wie fast alle Österreicherinnen und Österreicher, nicht ausgesucht. Es ist ja absurd, dass diejenigen, wie Asylwerber, die sich Österreich willentlich aussuchen, weil sie das Land so lieben und unbedingt hier sein möchten, von allen anderen, die sich dieses Land nicht ausgesucht haben, abgelehnt werden, obwohl sie – die Fremden – Österreich richtig gern haben. Und alle anderen sind chronisch daran erkrankt.

Gleichzeitig sind die Österreicher aber extrem selbstbezogen, extrem auf ihr kleines Land und was darin passiert, konzentriert.

Ja, und zwar aus einer Not heraus. Denn wo sollten sie sonst hin? Das, was jetzt Österreich ist, dieses kleine, langgestreckte, irrsinnig zerknitterte, unrunde Ding, besteht eigentlich aus Bundesländern, das sind ja die „Nationen“, aus denen Österreich besteht. Ich glaube auch nicht, dass Österreich Schwierigkeiten mit seiner Identität hat, aber ich weiß, dass diese Identität eine sehr mühsam errichtete ist. Darin gibt es keinen Zweifel.

Steirer haben schon seit hunderten Jahren das Gefühl, dass sie Steirer sind, Niederösterreicher und Oberösterreicher sind ja schon per Definition Österreicher, die sind in der Mitte auseinander geschnitten. Salzburg, das ja früher überhaupt nicht zu Österreich gehörte, ist eine sehr überschaubare Entität. Und Kärnten war einmal wichtiger als Österreich überhaupt. Und dann wird es schon ein bisschen seltsam, schon Tirol ist nur mehr die Hälfte von sich selbst, das Burgenland ist zusammengebaut aus Teilen von Westungarn, Vorarlberg war überhaupt nur kleine Grafschaften im Rheintal und auf der einen Seite vom Arlberg. Und so hat sich, sozusagen aus ganz verschiedenen Richtungen kommend, plötzlich etwas ergeben.

Eines wird immer ausgeklammert: Das einzige, was diesen Ländern gemeinsam ist: Sie haben in der einen oder anderen Form immer den Habsburgern gehört. Das ist jetzt an den Rand gedrängt, als Postkartenidylle oder als historische Nettigkeit, die lieben guten Habsburger, die eigentlich immer alles richtig gemacht haben. Aber die stecken in diesem Österreich so tief drinnen, dass Österreich dieser Geschichte auch nie entkommen wird. Der Bundespräsident, eine sehr würdige und republikanische Erscheinung, ist eigentlich nur der Kaiser ohne Krone, alles andere hat er von den Habsburgern übernommen: er sitzt im selben Zimmer in der Hofburg, und die heißt heute nicht Staatsburg oder Österreichburg. Hofburg heisst sie. Und wenn er Staatsgäste empfängt, der Bundespräsdient, dann sitzt er unter dem Bild der Maria Theresia, dort ist die Zeit stehen geblieben. In ihrem Selbstgefühl haben die Bundespräsidenten noch immer etwas Monarchisches, mit Klestil ist gar ein Straßenbahnersohn Kaiser geworden. Eigentlich wurde dieses Amt auch eingeführt, um das Vakuum nicht entstehen zu lassen, dass es niemanden gibt, der würdevoll in der Hofburg sitzt. Aber kein Zweifel: Die Präsidenten Das sind jetzt Kaiser in republikanischer Verkleidung.

Die Habsburger sind als historisches Analysethema in den letzten Jahren aber wenig präsent?

Ich muss da widersprechen, ich glaube, es gibt zwei voneinander scharf abgegrenzte Betrachtungsschulen. Dass über Habsburger und Österreich nicht geschrieben würde, stelle ich nicht fest, die Bücherregale biegen sich vor Habsburgerliteratur. Über jeden nur denkbaren Aspekt der Habsburgerei gibt es ein dickes Buch. Diese Bücher haben immer einen historischen Fokus, manchmal einen folkloristischen, manchmal einen anekdotischen Zugang, aber nie einen republikanischen. Die Habsburgermonarchie wird darin durch das Vergrößerungsglas der historischen Distanz betrachtet, aber dass die Schatten dieser Vergangenheit ununterbrochen um uns herumspuken, das klammern diese Bücher aus.

Gleichzeitig kämpft die republikanische Literatur gegen einen noch viel größeren Dämon, nämlich gegen die Nazi-Barbarei und gegen das, was davor war, den Bürgerkrieg, den Austrofaschismus, den Ständestaat. Diese Bruchlinien, wenn man so will „der permanente Bürgerkrieg“, hat vielleicht mit Kanonen aufgehört, aber er ist in den Parteienlandschaften noch nicht aufgearbeitet. Der Graben des Bürgerkriegs zwischen dem linken und dem konservativen Lager ist nicht zugeschüttet. Es gibt nur das berühmte Bild des Schulterschluss in der Lagerstraße, in der gemeinsamen Ablehnung der Nazi-Zeit sind sie sich einig, aber auch nur deshalb, weil sie beide ins Nazi-Gefängnis gewandert sind. Aber das Land hat es nicht geleistet, die davor liegenden Konflikte gemeinsam aufzuarbeiten. Und diese Polarität kommt direkt aus der Habsburgermonarchie.

Dieser Auseinandersetzung ist aber wahrscheinlich der Nationalsozialismus sozusagen dazwischen gekommen. Eine Auseinandersetzung damit gibt es ja mittlerweile, das hat die Beschäftigung mit den Habsburgern vielleicht auch an den Rand gedrängt?

Diese Lüge, dass Österreich ein Opfer des Nationalsozialismus war! Natürlich war Österreich ein Opfer, aber nicht alle Österreicher waren Opfer, ganz viele Österreicher waren auch Täter, die es sehr gut verstanden haben, sich in die Opferschar einzureihen. Die allgemeine und umfassende Opferrolle ist eine der Lügen, die in diesem Land herumgeistern.

Unserer Generation, die diese Zeit nicht miterlebt hat, wurde ja in der Schule beigebracht, dass 1945 plötzlich die Uhren alle auf 0 gestellt worden sind. Tatsächlich war es aber keine Stunde 0, sondern das Jahr 1946 ist unmittelbar auf das Jahr 1945 gefolgt. Dass das eine große Zäsur war, ist ja unbestritten, aber eine Stunde 0 ist es nur in einem symbolischen Sinn gewesen: Die Häuser waren die gleichen, auch wenn sie zerbombt waren, die Toten waren die gleichen, und die Erinnerung ist die gleiche gewesen, sie ist nur plötzlich anders erzählt und beschrieben worden. Die Leute haben ihre Uniformen ausgezogen und verbrannt, und plötzlich waren sie keine Nazis mehr, sondern normale Leute mit schlechten Anzügen, die von nichts gewusst haben. In einem gewissen Ausmaß hat sich eine Lügenindustrie etabliert, die zum Teil verständlich ist, weil irgendwann ja sozusagen neu begonnen werden musste.

Aber wenn es keine Geschichte gibt, die man erzählen kann, weil sie so grauslich ist, muss man die Geschichte eben, während sie passiert, neu erfinden. Und da hat Österreich, die zweite Republik, begonnen, grandiose Mythen zu schreiben. Einer dieser Mythen ist der Staatsvertrag und die Staatsvertragsverhandlungen, dieser Mythos ist ja mit einem großen nationalen, österreichischen Heiligenschein angestrahlt, was da alles an großartigen Taten vollbracht wurde! Und die Protagonisten dieser Großartigkeit sind uns, obwohl wir diese Zeit nicht miterlebt haben, ganz präsent: Figl und Raab und wie sie alle heißen, so viele waren das ja gar nicht. Bruno Kreisky, den wir erst aus den Siebzigerjahren in Erinnerung haben, und der ganz aktiv daran beteiligt war, den Staatvertrag einzufädeln, der wurde nicht in diesen Heiligenschein eingewoben. Nur um ein Beispiel einer prominenten Persönlichkeit zu nennen, die aus dieser mythischen Staatswerdung, aus dieser phönixhaften Wiederaufflatterei aus den Ruinen, herausgefallen ist.

Da wurde aktiv ein Bild geschaffen, in dem sehr viel erfunden oder umgedichtet wurde. Es wurde auch sehr viel darüber geschrieben, wie das gemacht wurde. Ich habe nur ein bisschen nachgeforscht und Geschichten aus diesem Drehbuch herausgeholt. Das sind manchmal sehr skurrile Sachen! Eine Skurrilität, die den Österreichern gar nicht bewusst ist, ist, dass das wichtigste Dokument des Staates, der Staatsvertrag, gar nicht in Österreich liegt, sondern im Aktenspeicher des russischen Außenministeriums in Moskau. Er ist erst einmal außerhalb von Russland gewesen, als er im Belvedere unter einer Vitrine ausgestellt wurde. Im Staatsvertrag sind auch für die österreichischen Verhältnisse sehr typische Dinge zu sehen. Zum Beispiel hat Figl mit salatgrüner Tinte unterschrieben, und diese Tinte ist im Laufe der Zeit schon mehrere Male verblasst und von den russischen Restauratoren nachgemalt worden. Die Unterschrift ist also eigentlich gar nicht mehr auf dem Staatsvertrag drauf, weil diese Tinte keine Dokumententinte ist. Das ist so etwas typisch Österreichisches, finde ich: Auf der symbolischen Ebene werden Akte gesetzt, wie mit grüner Tinte zu unterzeichnen, weil das Land viele grüne Bäume hat und viele Äcker. Wenn der Sommer sehr dick ist, dann sind die schön saftig grün, und da geben wir grüne Tinte in unsere Füllfeder, obwohl die nicht hält. Streng genommen steht Figls Unterschrift schon gar nicht mehr im Staatsvertrag. Was auch ein Licht auf die Brauchbarkeit österreichischer Urkunden wirft.

Das Buch besteht ja aus ganz vielen solchen historischen Bohrungen, mit denen sehr vielen historischen Mythen auf den Grund gegangen wird?

Ich will ja nicht alles verraten, was in dem Buch drinsteht, aber zumindest kann ich verraten, weil es so plakativ ist, woher das Rot der SPÖ kommt. Das ist natürlich ein linkes Rot, das in linken Parteien auf der ganzen Welt verwendet wird, und direkt aus der Französischen Revolution und aus den Bewegungen kommt, die sich davor mit dem Gedanken an die Freiheit beschäftigt haben. Als die damals ein Symbol gesucht haben, sind sie auf die phrygische Mütze gekommen, weil da mitgeschwungen ist, dass die Phrygier sich selbst aus der Sklaverei befreit hatten. Die Mütze selbst ist immer rot dargestellt worden, und ich habe dann nachgeforscht, welche Geschichte die Mütze erzählt und warum sie rot ist: Der Ursprung dieser Mütze ist einfach das Leder von Stierhoden, die phrygische Mütze ist eigentlich eine aufgesetzte Stiersacklederhaut, rot angestrichen. Und wenn am 1. Mai Wien und andere sozialdemokratisch regierte Städte in Österreich rot beflaggt sind, dann ist das eigentlich Stiersackmützenrot, obwohl das niemand weiß.

Diese Bohrung ist schon wichtig, aber bei der Bohrung bin ich immer auf neue Oberflächen gestoßen. Oberfläche ist ja, das muss man niemandem erklären, immer das, was zwischen innen und außen ist. Innen ist der Inhalt, beim Punschkrapfen ist das diese braune Masse, die ein bisschen alkoholisiert ist, und die Oberfläche ist dieser rosa Zuckerguss. Wir sind außen und schauen den Punschkrapfen an, und wenn wir den Finger hineinstecken, durch die Oberfläche bohren, kommen wir zwar scheinbar an den Inhalt, aber unser Finger berührt doch auch wieder nur eine neue Oberfläche. Den Inhalt gibt es immer nur in der Phantasie, aber die Oberfläche ist immer das, dem wir begegnen. Es ist unmöglich, den Inhalt außer durch Phantasie oder Projektion oder Nachdenken oder Wunschdenken zu erfassen, weil immer die Oberfläche dazwischen ist. Und jedes Nachbohren fördert neue Oberflächen zu Tage, bis alles zu einer Art Staub geworden ist. Und der Staub ist nur eine wahnsinnig vergrößerte Oberfläche, der nicht einmal mehr in der Phantasie eine Oberfläche hat, weil das Staubkorn ja so klein ist, dass es wahrscheinlich keinen Inhalt mehr hat. Und wenn wir jetzt bei diesem Bild bleiben: Dieser Staub der Geschichte liegt überall ganz dick herum, in vielen Schichten in ganz Österreich.

Ist dieses Oberflächenphänomen etwas genuin Österreichisches?

Ich bin ja eine extrem unösterreichische Landesbewohnerin, weil ich im österreichischen Sinn kaum österreichische Wurzeln habe. Ich habe tschechische, slowenische, schwedische, deutsche und italienische Wurzeln, lauter Wurzeln, die im engsten Sinn nirgendwo in Österreich auffindbar sind, weil ja dieses Land früher ein viel größeres Land war. Mit Österreich haben sie zwar ein Land bezeichnet, in Wirklichkeit war es aber nur ein Etikett für das, was die Habsburger regierten. Die Habsburger haben das Heilige Römische Reich Deutscher Nation von Wien aus regiert. Und Wien ist ja so ein Vielvölkergebilde, ein Drittel der Wiener ist nicht in Wien geboren, und das war eigentlich nie anders. Wien ist ja schon seit Jahrtausenden ein Schmelztopf, ganz lang bevor New York überhaupt zu schmelzen begonnen hat, ist das hier schon perfekt abgelaufen.
Ich glaube schon, dass dieses Oberflächenphänomen ein sehr österreichisches ist. Aus dem Blickwinkel, aus dem ich es betrachte, hat Österreich schon einen sehr starken Fassadencharakter. Ein Beispiel, das nicht im Buch steht: Die österreichischen Häuser sind sehr schmuckvoll, obwohl drunter nur Ziegel sind. In anderen Ländern, zum Beispiel in Holland, ist es kein Problem, Häuser zu bauen, wo man die Ziegel auch sieht, es wäre in Österreich aber ganz streng verboten, ein Haus zu bauen, wo man die Ziegel sieht, außer unfertige Reihenhäuser am Land. Das hat aber, glaube ich, steuerrechtliche Gründe, solange die Fassade nicht drauf ist, ist das Haus nicht fertig, obwohl die Leute wohnen aber schon drin. So gibt es sehr viele Ziegelhäuser, die genau genommen noch gar nicht existieren. Das ist auf einer sehr sachlichen Ebene schon etwas Österreichisches, dieses Über-die-Oberfläche-noch-eine-andere-Oberfläche-legen. So etwas wie das Schnitzel ist zwar nicht in Österreich erfunden worden, aber hier zur Hochblüte gediehen. Ein dünnes Stück Kalbfleisch, das eigentlich ganz gut schmecken würde, so wie es ist, aber nein, man muss noch eine Panier drumherummachen, und die Äpfel in einen Strudel einwickeln, und jeder Wirtshaustisch hat so gern sein kariertes Tischtuch, und früher ist alles mit Tapeten zugepickt worden. Was es in anderen Ländern nicht gibt, ist dieses Selbstverständnis, dass alles dekoriert wird, sogar die Landschaft wird dekoriert, zum Teil künstlich. Außer in schneereichen Wintern, werden ja die Hänge zum Schifahren extra mit Kunstschnee belegt. Das ist ja auch so eine Erfindung, die in Österreich in großer Blüte steht.

Wieviel persönliches Leiden an Österreich steckt in diesen Anekdoten und Betrachtungen?

Ich leide schon sehr darunter! Und ich schau den anderen Patienten dabei zu, wie sie hocherkrankt durch dieses riesige Siechenhaus stolpern. Wie in jedem guten Krankenhaus gibt es ja auch Behandlung. Aber ein gutes Krankenhaus und gute Ärzte schauen immer, weil sie ja davon leben, dass die Patienten nie wirklich geheilt werden. Die Oberärzte und Oberärztinnen des Landes, die die Krankheiten diagnostizieren, sind Teil der Krankheitsgeschichte. Ich will mich da gar nicht freisprechen von der Täterschaft. Indem ich eine Geschichte erzähle, inszeniere ich mich ja auch selber, indem ich eine Anekdote erzähle, mache ich mich selber zum Teil einer literarischen Oberfläche. Die Sprache ist eben auch eine Oberfläche, die Oberfläche der Gedanken, Meinungen, Haltungen, und der Buchstaben, aus denen sich die Wörter zusammensetzen, und der Sätze, die aus den Wörtern kommen. Im Grunde genommen besteht jede Geschichte, die in dem Buch vorkommt, ja nur aus diesem gedruckten Papier, das ist ja auch ein Oberflächenphänomen, die Tiefe des Buches lässt sich nur durch die Untersuchung dieser Oberfläche feststellen.

Das ist jetzt natürlich sehr dahergeschwurbelt, aber dieses Gefühl für den Unterschied zwischen Inhalt und Oberfläche ist uns da schon sehr abhanden gekommen. Weihnachten zum Beispiel ist ein Fest, wo es sehr stark um Verpackung und Oberfläche geht, und um den Reiz, diese Oberflächen erst einmal zu errichten und dann wieder zu enthüllen, und sich durch diese Papierberge und Schleifen und Girlandenwelten durchzukämpfen. Und dann ist eh etwas ganz Banales drin, ein Karton mit einem Bügeleisen, und da ist draußen das Bügeleisen abgebildet, als ob man nicht „Bügeleisen“ draufschreiben könnte. Nein, da ist die Fotografie eines Bügeleisens Fotografie auf der Verpackung abgebildet, weil man sonst nicht glauben würde, dass ein Bügeleisen drin ist. Das ist zwar nichts typisch Österreichisches, aber dies Oberflächenwelt ist permanent da. Und wenn wir fernsehen, oder einen Film sehen, sehen wir nicht die Wirklichkeit, sondern immer nur die Oberfläche von etwas, eine Glasoberfläche oder eine Leinwand. Wir sind schon sehr geübt darin, die Oberfläche für den Inhalt zu halten. Und die Österreicher können das eigentlich noch viel besser.

Ich bin ja halbe Schwedin, und mir ziemlich sicher, dass es keine schwedische Selbsthassliteratur gibt, sehr wohl aber dieses große Genre der österreichischen Selbstgeißelung. Und selbst Figuren wie Thomas Bernhard geißeln ja, indem sie Österreich geißeln, nur sich selber. Er ist nie nach Liechtenstein ausgewandert, oder nach Ungarn, oder an den Comer See, wo es schön ist, und warm, und Palmen stehen. Nein, er hat sich an diesem Österreich festgebissen. Denn selbst wenn wir in Mallorca, oder am Indischen Ozean sitzen, das Österreichische geht ja nicht raus aus uns, das fährt ja immer mit. Inzwischen ist ja sogar Kalifornien schon von einem Österreicher regiert, ob denen ganz klar ist, was sie sich da eingehandelt haben, einen österreichischen Gendarmensohn als König von Kalifornien!?

Die österreichische Literatur ist ja eigentlich eine große Diagnosestation, ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeine gute Literatur gibt, in der Österreich als Problemfall ausgeklammert wäre. So absurd das klingt, andere beneiden uns auch noch um diese Erkrankungsliteratur. Und die flott dahingeschriebene, und folkloristische Habsburgverklärungs-Literaturmaschine, da gibt es ja auch Entsprechungen in den Krankheiten. Ein manischer Patient hat auch nicht das Gefühl, krank zu sein, er fühlt sich extrem wohl in seiner Manie.

Ist dieses Reiben an Österreich für Sie auch so etwas wie ein künstlerischer Motor?

Ich würde schon gern ohne das auskommen, diese Sehnsucht gibt es schon. Wenn es wieder großen Anlass zur Sorge gibt um dieses Land, dann frage ich meine Mutter, Warum hast du hierher kommen müssen? – Dann sagt sie, Ich habe nicht gewusst, dass es so schlimm ist. Aber es war so schön, und mir haben die Berge so gut gefallen, und alle haben immer erzählt wie toll Österreich ist. -Und dann sag ich: Und mein Vater, der hat dich nicht gewarnt? – Ja, irgendwie hab ich gespürt, irgendwas ist da. – Mein Vater war ein ganz typischer Schmelztiegelösterreicher, einmal ist er nach Schweden geflüchtet für fünf Jahre, und dann hat er wieder zurück müssen, aus Sehnsuchtsgründen.

Ich glaube auch, dass Schwarzenegger irgendwann wiederkommt, sobald das Alter dann ordentlich in seine dann schlaffen Wadeln hineinbeißt. Wenn er die Sonne nicht mehr aushält, dann kommt er sicher wieder. Dort wo er her ist, ist es ja sehr unkalifornisch, dafür aber sehr österreichisch. Sie kommen dann doch alle wieder. Vielleicht ist es ein Magnetismus. Joe Zawinul ist auch wiedergekommen. Besser kann es einem doch gar nicht gehen als Exilösterreicher: weltberühmt zu sein als Jazz-Pianist, dort, wo er sein wollte, wieso hat der unbedingt wieder herkommen müssen? Weil es ihn erwischt hat. Das Österreich. Er hätte genauso gut in Kalifornien sein letztes Stündlein verbringen können, wo die Sonne scheint und wo er ja gelebt hat. Aber ausgerechnet der ein Jazzgigant wie Zawinul muss, wie die Elefanten auf den Elefantenfriedhof, wieder hierher kommen. Und der war, obwohl er ein Weltbürger war, ein echter Wiener, Wienerischer hab ich übrigens noch nie jemand sprechen gehört.

Es gibt auch Österreicher, die sich Österreich willentlich auswählen, so hat George Tabori erzählt, dass er nirgendwo so glücklich gewesen wäre, wie in Österreich. Auch Peymann war nirgendwo so glücklich wie in dem Land, in dem sie ihn als die größte Kulturschande der Welt bezeichnet haben, so eine Leidenschaft hat er nirgendwo bekommen wie diesen Hass der Österreicher auf den Piefke. Das hat ihm so wahnsinnig viel gegeben, dass ich behaupte, es sei schon wieder sehr österreichisch, diese Liebe, gehasst zu werden. Du erkennst die Liebe daran, dass du gehasst wirst.

Der einzige, der mir einfällt, der das Land hochbetagt geflohen ist, war Bruno Kreisky, der hat ja das Alter auf seiner Finca in Mallorca ausgesessen.

Sie analysieren in dem Buch zwar viele österreichische Phänomene, Mythen usw., es wird aber niemals belehrend, es ist kein Standpunkt wirklich ausformuliert.

Weil ich das Pädagogische zutiefst ablehne. Ich hab manchmal Schule geschwänzt, um zu Hause die Bücher zu lesen, die in der Schule vorgetragen worden sind. Das haben mir die Lehrer natürlich nicht geglaubt. Selbstredend bin ich auch oft im Kaffeehaus gesessen, dort haben sich der Religionslehrer und die Physiklehrerin heimlich getroffen, die dann später geheiratet haben. Weder sie, die techtelnden Lehrer, noch wir, die Schülerinnen und Schüler haben einender je verraten. Deshalb kommt das auch im Buch vor, weil ich das sehr österreichisch finde, das heimlich im Kaffehaus sitzen ist ja keine aktive Lüge, sondern eine passive Lüge. Und etwas nicht zu erzählen ist ja eigentlich schon ein literarischer Akt. Und noch keine Lüge im katholischen Sinn, das Verschweigen ist noch nicht die Unwahrheit. Und Diese Gedankengänge sind ja insgesamt sehr österreichisch, mir ist es darum gegangen, diese Denkarten zu sezieren. Einer der Kniffe, warum das Buch nicht belehrend ist, ist, dass ich mich als Opfer wie als Täterin in diesem österreichischen Oberflächenzirkus darstelle. Ich will niemanden belehren, höchstens aufmerksam machen auf etwas, was mir eingefallen ist oder ich entdeckt habe. Das hat etwas sehr Kindliches und dadurch auch wenig Professorales. Ich bin ja sehr neugierig und stelle mir Fragen wie diese:. Warum ist ein kleines Land ein Reich und was ist das überhaupt: ein „Öster“? Dem muss ich nachgehen. Was mich auch nachdenkrasend macht: Wenn die Dinge Bezeichnungen haben, die mir nichts sagen. Was ist eine „Donau“? Oder was ist ein „Inn“. Ich verstehe Worte wie Lichtenfels, Lerchenfeld, Wasserburg. Aber was ist ein „Ybbs“ mit Y und zwei b, irgendetwas stimmt da nicht, das muss ja Gründe haben, das etwas Ybbs heißt oder Steyr. Und es hat Gründe, die muss ich dann ausgraben. Die Dinge haben oft die unglaublichsten Hintergründe, obwohl sie uns ununterbrochen begegnen, und die meisten Hintergründe werden nie öffentlich hinterfragt. Geschweige denn beantwortet.

……………………………….
–> Leseprobe Download pdf
Andrea Maria Dusl <http://www.residenzverlag.at/?m=20&o=2&char=D&id_author=400>
Die österreichische Oberfläche
Residenz Verlag
Mit 34 Elektroholzschnitten der Autorin
240 Seiten, Klappenbroschur
EUR 19,90 / sFr 33,80
ISBN: 9783701714865
–> Hier bestellen
………………..
–> Dusl buchen:
Constanze Drumm, Residenzverlag
Telefon 0043 2742 802 1411
c.drumm@residenzverlag.at

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert