Als die Bilder Farbe lernten

Fernseher-1.jpgUngekürzte Version des Artikels in Standard-RONDO vom 26. Oktober 2007
Als ich ein kleines Kind war, in den frühen Sixties, atmete das Medium, das aus der Röhre kam, noch das Odium des Halbverbotenen. Bilder, die direkt ins Wohnzimmer kamen – unerhört! Nachrichtensprecher mit sauber gekämmten Scheiteln und hochsitzenden Krawatten schauten aus dem Apparat und deklamierten strenge Texte. Und es war anfangs nicht ganz klar, ob sie dabei nur herausschauten oder auch etwas sahen. Jedenfalls war das für eine Kinderseele nicht ganz eindeutig. Aber nicht nur für die. Nie, auch nicht ein einziges mal habe ich meine Eltern in Pyjama oder Nachthemd fernsehen gesehen. Es schickte sich nicht. Nur den Boxkampf Muhammed Ali gegen Joe Frazier hat mein Vater frühmorgens im Schlafgewand absolviert.
Meine ersten Erwachsenensendungen, also Sendungen, die auf der Fernsehseite der elterlichenTageszeitung mit dem Signum „Jugendverbot“ ausgewiesen waren, habe ich mit fünf gesehen. J und V, Jugend und Verbot, waren naturgemäß die ersten Buchstaben, die ich gelernt habe. Jugendverbotene Sendungen habe ich stets heimlich gesehen. Stundenlang stand ich hinter der Scheibe der Türe, die die Rückwand des Wohnzimmers vom Kinderzimmer trennte. Es war eine geraffelte Scheibe, hinter der ich stand, leicht getönt. Aber ich hatte, wenn ich den Atem anhielt und auf nichtseufzenden Furnierbrettern stand, freie Sicht auf den Fernsehapparat. Das Licht brach sich psychedelisch in den Schlieren des Glases. So etwas wie Farbfernsehen war das. Bunte Bilder, schemenhaft und unscharf. Die Handlung musste ich imaginieren, denn der Ton war schlecht hier hinten zwischen Glastüre und Vorhang. Geheimfernsehen hatte etwas Heiliges.
Jugendverbot. Farbe. Die beiden Begriff amalgamierten in meinem kleinen Gehirn. Schwarz-Weiß hingegen, erlaubt und vom Sofa aus betrachtet, hatte etwas Braves. Kasperl war schwarz-weiss und die Protudierungen des Bastelonkels. Die Nachrichten waren es und der Fenstergucker. Der Briefmarkensammler, Hans Joachim Kulenkampff und die Mondlandung. Und ich hielt dieses jugendfreie Schwarz-Weiß nicht für eine technische Einschränkung, sondern für real. Lassieland, wo immer das war, hatte graue Wiesen und farblose Bewohner. Und auch die Himmel waren dort stets grau. Das Grau hatte etwas Deutsches. So sprachen die ja dort. Deutschland-Deutsch.
Die deutschen Urlauber, die sommers das Ausseerland bevölkerten, habe ich denn auch für Lassieländer gehalten. Deutschland war etwas Fernes, Technisches. Deutschland war brav. Schwarz-weiß. Wenn unser Fernsehapparat nicht gestorben wäre, wäre es auch so geblieben.
Farbfernseher-1.jpgAber er starb. Hauchte den Geist seiner Röhre aus. Ein neuer musste angeschafft werden. Was so ein Zauberding draufhatte, wusste ich inzwischen. Die Novotnys aus der Nestroygasse hatten eines. Eine riesige Kiste. Groß wie eine Hundehütte. Dunkel, mit langen schwarzen Schlitzen in den Plastikpalisanderfurnieren. Die Fernsehhütte der Novotnys gab eine Vorstellung davon, was Farbfernsehen in diesen frühen Tagen sein konnte. Für mich, hinter der Fensterscheibe im psychedelischen Sehen Geschulte, war es keine Überraschung. Farbfernsehen war nicht die Entsprechung der Welt, wie wir sie kannten, sondern eine Überhöhung. Schwarz war Grün. Blau war Braun. Weiß war Himmelblau. Nur Rot war Rot. Egal welches. Leberkässemmeln, Lippenstifte, die Landesfahne. Rot wie Chilischoten.
Die Hochkonjunktur blies durchs Land, Vaters Architekturbüro prosperierte, meine Überredungskünste fruchteten, die Novotnys mussten technisch überholt werden: Ein hochmoderner skandinavischer Apparat wurde angeschafft. Seine Ästhetik erinnerte an die Geräte an Bord von Kubricks Raumschiffen. Bang & Olufsen. Ein unfassbares Gerät. Eine Maschine aus der Zukunft. Stundenlang saßen meine Brüder und ich gebannt vor dem Farb-Testbild und versuchten, sein ästhetisches Programm zu dechiffrieren. Und wenn sich Heinz Conrads zeigte oder Peter Fichna, drehten wir am Farbregler, um uns an die Zeit zu erinnern, die gerade eben noch schwarz-weiß gewesen war. Umgekehrtes Retro war das. Aber die neue Zeit schwappte für immer durch die bekannten Bilder. Lassie wurde rothaarig und Jeannies Meister bekam eine blaue Uniform, Flippers graue Lagune wurde türkis, und der Rennanzug von Franz Klammer gelb wie frisches Fanta.
Eine andere Zeit war angebrochen. Nur das Jugendverbot vermisste ich. Als Farbfernsehen noch Stehen war und ausgedacht.
(Andrea Maria Dusl / Der Standard/rondo 25.10.2007)

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