metaphysics ::: Arm

Erschienen in .copy 23 i.e. 04/2005

FA-Arm.jpgArm ist ein hochkomplexes Wort. Das gilt für den Arm, jenen Körperteil, der unser wichtigstes Werkzeug, die Hand trägt gleichermassen wie für “arm” das Gegenteil von “reich”.

Der Arm, jener vielgelenkige Körperteil, der an unseren Schultern ansetzt, ist entwicklungsgeschichtlich ein Cousin unserer Beine und war zur Zeit unserer frühen Vorfahren, der Fische, noch eine schlichte Flosse.

Das Bauprinzip dieser fächerförmigen Ruderwerkzeuge hat sich über all die Jahrmillionen erhalten. Ein einzelner Knorpel- oder Knochenstummel verzweigt sich an einer beweglichen Verdickung in einen Doppelarm, dieser, an der nächsten Verdickung in drei, die wiederum in vier, bis am Ende des Flossenfächers meist fünf Strahlen, unsere heutigen Finger sitzen. Aus den Verdickungen an den Verzweigungen der Strahlen werden im Laufe der Evolution der Flossen zu Gliedmassen Gelenke werden.

Erst das mechanische Prinzip der Überkreuzung von Elle und Speiche (analoges gilt für die hinteren Gliedmassen) hat den frühen amphibischen Landbewohner eine Bewegung an Land ermöglicht. Mit starren Gliedmassen ohne Aufspaltung in doppelknochige Unterarme und -beine und in vielstrahlige Finger hätten unseren Vorfahren den Landgang nicht auf die Reihe bekommen. Kein Landgang, keine Evolution der Landwirbeltiere, keine Entwicklung von Säugetieren.

Kein Arm, kein Landgang, kein Arm, keine Menschheit.

Die Gliedmasse, die unsere Hände hervorbringt, kommt von einer indoeuropäischen Verbalwurzel “are”, soviel wie “fügen” und bedeutet Gelenk oder Körperteil mit Gelenk. Der Arm (lat. humerus) hat aber auch martialische Bedeutung. Aus der gleichen Wurzel wie Arm kommt das lateinische arma, die Waffe. Eine Menge Arme kann eine Menge arma tragen und eine Armee bilden. Mit einer gut organisierten Armee lassen sich – männliche Kriegslust vorausgesetzt – Eroberungsfeldzüge organisieren, die – männliches Logistiktalent vorausgesetzt – in einem Reich münden. Einem Imperium – einem “Anschaff-Reich”. Einem – im wahrsten Sinne des Wortes – weit über jeden Arm reichenden Machtgebilde.

Und da wären wir über den kleinen martialischen Ausflug mit dem Reich schon bei arm. Das Gegenteil von reich sein ist nämlich das arm sein.

Arm, das Gegenteil von reich, von mächtig, kommt aus jener sprachlichen Wurzel aus der auch die Worte “Erbe” und “Arbeit” kommen. Arm zu sein und der Zwang zu arbeiten scheinen im Verständnis unserer Ahnen zusammengehört zu haben. Und dass sich dieser Zustand der arbeitsamen Armut von Generation zu Generation “vererbte”.

Arm und reich scheinen also nicht nur Gegensätze zu sein, sondern einander auf vielfach Weise zu bedingen. Kein Reich ohne Armee. Keine Armee ohne Arme, keine Arme ohne Armut, keine Armut ohne Reichtum, kein Reichtum ohne Reich. Die Kette dieser Assoziationen liesse sich noch vielfältig anders knüpfen. Und alles nur, weil die Natur jenen amphibischen Quastenflossern, die als erste ihre feuchten Fischleiber mit gelenkigen Paddeln an Land stemmten einen kleinen Vorteil gegenüber Kollegen gewährte, deren Flossen zu kurz waren, um als frühe Arme und Beine Verwendung zu finden.

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