Wien am Inn

Andrea Dusl
Essay, FORVM, Oktober 1986, pagg. 37ff.

Dem Weichbild der Wienerstadt steht eine Schönheitsoperation ganz besonderer Art bevor. Die Umwandlung ihres größten, berühmtesten und in diesem Sinn eigentlich einzigen Fließgewässers in ein Fäkaliensammelbecken mit benachbarter Badegelegenheit. Die letztere, in Ergänzung zum Gänsehäufl – immerhin dem ältesten Strandbad Europas – besteht schon. Wie der Stau verhindert werden kann, steht auch schon fest. Wien wird an den Inn gelegt. A. D.

Papa Erwin Dusl.

„Letzte Donaumetropole, bevor sie Budapest erreichen“ steht auf einem Nußdorfer Straßenschild. Das kann nur ein Wiener geschrieben haben. Der Wiener ist nämlich ein böser Mensch, auf alles ist er bös‘, am meisten natürlich auf sich selbst. Und des Wieners Lieblingstugend ist dementsprechend der Haß. Wenn aber der Wiener etwas mehr haßt als sich selbst und die anderen Bewohner seiner taubenverschissenen Stadt oder eben diese selbst, die seinen Haß gebiert, ihn hegt und pflegt, dann ist es das Wasser. Nichts haßt der Wiener mehr als das Wasser.

Im Wienerwald entspringen gut zwei Dutzend Bäche, die einmal alle durchs heutige Wien flossen. In jedem Heurigenort „draußt'“ ereilt sie das gleiche

Schicksal: Kaum an der Stadtgrenze angekommen, mutieren sie zu Känälen. Unterirdisch und verdrängt in jedem Sinn des Wortes, fließen sie einem anderen Kanale zu, dem Donaukanal. Auf ihrem Weg durch Wien bilden sie eines der ausgedehntesten Kanalsysteme der Welt, das immerhin so berühmt ist, daß Millionen Westmenschen Wien mit

dem Dritten Mann identifizieren so wie Australien mit dem Känguruh. Den Donaukanal, angereichert durch Wiens Abwässer und Bäche, halten sie dann auch für die Donau, so wie sie ihre Filme vor der Votivkirche verschießen, die sie für den Stephansdom ansehen. Bei der Urania, wir werden die wahre Bedeutung dieses Wortes noch erkennen, stößt der korsettierte Wienfluß dazu, gemeinsam geht’s jetzt an Erdberg und Simmering vorbei, Richtung Winterhafen, der regulierten Donau zu, die dann noch ein wenig umkämpften Auwald sieht, bevor sie im neuen österreichisch-ungarischen Stausee bei Nagymaros endet.

Die Geschichte der wienerischen Wasserverdrängung1 ist älter, als man zunächst vermuten könnte. Die große – wahrhaft barbarische – franzisko-josephinische Monumentalverdrängung, vulgo Generalregulierung, steht erst am Ende einer langen Reihe von Bach- und Flußverlegungen. Inwieweit ein Zusammenhang besteht zwischen dem Regulierungswahn Franz Josephs und der Tatsache, daß er der einzige barttragende Imperator Augustus habsburgischen Stammes ist, kann hier nicht völlig geklärt wer-den. Beides, Barttragen und Wasserverdrängen, könnte neurotischen Ursprungs sein:

Der Bart des Kaisers hatte unter dem Kinn eine breite Schneise, die Franz-Joseph-Bartrasur. Diese mag dem Habsburger notwendig geworden sein, um dem gesellschaftlich untragbaren Fauxpas des Bartbeschmutzens beim Essen und Trinken zu begegnen. Der auf Jugendportraits evidente Überbiß des Kaisers erklärt nicht nur diese kaiserliche Unpäßlichkeit, sondern nährt auch die nicht enden wollende Zahl der Gerüchte über eine eventuell unstandesgemäße, nichthabsburgerliche Abstammung Franz Josephs. (Über deren Richtigkeit ich mich eines Urteils enthalten muß.)

Immerhin – wäre Franz Joseph Träger der Habsburgerlippe gewesen, würden sich diese Überlegungen erübrigen. Auch Franz Josephs neurotisches Getue um die nicht standesgemäßen Liaisonen seiner nächsten Verwandten, die ja in allen Fällen katastrophalen Ausgang nahmen, wäre so erklärbar. Um nicht noch bürgerlicher zu werden, oder umgekehrt ausgedrückt, um womöglich der eigenen Existenz als Fehltritt der bayerischen Mutter (was FJ durchaus nicht gewußt, aber geahnt haben könnte) auf dem Wege der Auffrischung durch anderes Königsblut zu begegnen, war ihm jedes Mittel der Durchsetzung von „standesgleichen“ Verbindungen recht. Franz Josephs Nachkommen hielten sich, bar solcher Abstammungsneurosen (ohne es zu wissen), aber lieber unter ihresgleichen, den weniger kaiserlich-königlichen auf. FJ selbst hat nicht nur die landfrische Sisi zur Kaiserin gemacht, sondern war ein passionierter Verehrer der bürgerlichen Frauen2.

So steht also der Vermutung nichts im Wege, daß das Antlitz des imperialen Wien Emanation des francisco-josephinischen Gesichtsschmuckes ist. Bekanntlich haben ja in Wien die kleinsten Ursachen durchaus die größten Wirkungen. Die historische Größe Franz Josephs wird durch diese Überlegungen nicht geschmälert.

Aber Franz Joseph war nicht der erste Bachverleger. Schon Herzog Leopold VI., der als Babenberger dem entspricht, was FJ I als Lothringer Habsburger war – Leopold hatte Wien zur größten Stadt des römischen Reichs gemacht -, verlegte großzügig. Unter seiner Herrschaft wurde Wien endlich vom lästigen Ottakringerbach, der über Minoritenplatz und Tiefen Graben der damals noch nahen Donau zufloß, befreit. Das enge Wien brauchte Platz, und so wurde der Bach aus der Stadt gelegt und sein Wasser nach Osten zur Wien und ihren vielen Mühlen geleitet. Auch Als und Ulrichsbach wechselten wiederholt das Bett. Nach jeder größeren Überschwemmung wurden Wiens Bäche durch Bettverlegung bestraft. Da die Wiener Bäche ja eigentlich Gebirgsbäche sind – sie entwässern das gesamte östliche Wienerwaldgebirge -, wundert es kaum, daß sie bei Unwettern zu reißenden, alles verheerenden Strömen wurden.

Dem zarten Wienfluß kann man, heute noch, während eines Gewitters beim Anschwellen zu imposanter Größe zuschauen. Zuletzt hat diese Eigenschaft der Wien eine Türkenbelagerung zum Guten gewendet. Gedankt hat man es ihr im Grunde weder damals noch heute. Im Gegenteil. Auch hier ist es die Stadtgrenze, von wo an auch die Wien im Gewande des Kanals fließen muß. Sie muß auch, kaum in Sichtweite der Wienerstadt, flugs unter die Erde, um angesichts soviel Imperialen nicht durch allzu Alpines, Bäuerliches aufzufallen. Erst hinterm Kursalon Hübner, im sogenannten Stadtpark, fließt die Wien wieder oberirdisch, im hohen Korsett, versteht sich.

Der Donaukanal hingegen, die wenigsten Wiener wissen das, ist wirklich ein Kanal, er sieht nicht nur so aus. Zwar war hier immer schon ein Donauarm von beachtlicher Stärke geflossen, zeitweise sogar der Hauptstrom, aber seit dem Mittelalter drängte dieser Arm nach Norden. Maria am Gestade unter der Salzgries sowie der Einkehrgasthof Salzamt markieren noch heute das damalige Donauufer. Im sechzehnten Jahrhundert drohte dieser Arm jedoch zu versanden, und es wurde der elegant dammbegleitete, in der Breite allerdings reduzierte Donaukanal [ausgehoben.]

Der Hauptstrom jenseits des Augartens fiel, wie schon gesagt, der römisch-imperialen Begradigungswut des echtesten aller Wiener, Franz Joseph, zum Opfer. Vom einstigen Donauurwald blieben nur die schon früher angelegte barocke Perversion zum Thema Wald, der Augarten und ein zum Volks- und Wurstelpark degradierter, jetzt der jagdparadiesischen Größe beraubter, zwickelförmiger Prater.

Von der Donau und ihren zahlreichen fischreichen Armen blieb, wie ein zerschnittenes Glied auf dem Schlachtfeld, die sogenannte Alte Donau mit ihren schrebergartenschwangeren Ufern Neubrasilien und Arbeiterstrandbad übrig, dazu ein paar ausgedehnte Kleinstarme in der Lobau und der Nachenweiher Heustadlwasser im Prater, in dem jetzt das Wintersalz der Südosttangente fließt. In der Simmeringer Heide soll es noch den geheimnisvollen Seeschlachtbach geben. Von allem noch fast unberührt, fließt im Süden Wiens die Liesing, die ihre Virginität wahrscheinlich nur ihrer Lage jenseits des Zentralfriedhofs verdankt, und die via Schwechat beim heutigen geographischen Topos „Erdgasbrücke“ in die hier schon (weil Stadtgrenze) einigermaßen krumme Donau mündet.

Die Wiener Bäche und Flüsse können dem Wiener also offenbar keine größere Freude machen, als möglichst schnell wieder Wien zu verlassen oder ihr Fließen prompt einzustellen. Sind sie doch alle Fremde in Wien. Wo Zuschütten nichts half, wurden sie überdacht, wo dies die Breite unmöglich machte, begradigt oder gestaut. Das Inundationsgebiet, beliebter Fußballplatz früherer Bubentage, an dem sich, wenigstens zu Überschwemmungszeiten, vermehrt Wasser oder der seltene Eisstoß aufhalten durfte, ist mittlerweile auch verschwunden. Statt dessen gibt es die Neue Donau, einen Stausee, der bei Bedarf geflutet wird, das Wasser zwar dann bakteriologisch für ein Monat versaut, aber dafür Inundation von Stadtgebiet nicht mehr zuläßt. Wiens wichtigstes Gewässer hingegen ist, zumindest im Selbstverständnis der Wiener, der Hochstrahlbrunnen, der dem russischen Denkmal des unbekannten Soldaten3 seine Ehre erweist. Hier uriniert die Wienerseel‘ von unterirdisch auf das ferne Rußland. Dahinter sitzt Fürst Kari in seinem wunderbaren Palais. Es soll später noch die intuitiv richtige Erfassung des Zusammenhangs Donau – Wasser – Rußland aufgegriffen werden.

Mehr als die Wiener kann man gar nicht gegen das Wasser tun, so scheint’s. Die Stadtväter und ihre elektrischen Berater waren nicht faul in letzter Zeit. Nach dem Debakel von Hainburg soll ein anderer Stausee durchgeboxt werden. Der größte und schönste, der sich denken läßt. Die Donau, und zwar die beinamenlose, fließende, und ihre Schwester, die Neue, sollen gestaut werden. „Wien am Stausee“ heißt die brillante Idee; an einem Sporthotel am Handelskai, in den Mauern eines monumentalen Getreidespeichers, wird schon gebaut. Nur – die cloaca maxima wird auch die gesamten Abwässer aller Wiener Toiletten enthalten. Nennings „Klosee“ wird Wirklichkeit.

Wie können wir das verhindern, was hier, nach all dem, was bereits geschehen ist, mit der Donau angestellt wird? Ganz einfach:

Wien wird an den Inn gelegt!

Im Lande eines anderen Franz Joseph4, im bayerischen Passau, fließen drei Flüsse zusammen. Die schwäbische Donau, der rätische INN und die kleine bayerische Ilz. Für die Tiroler war es seit jeher ein offenes Geheimnis: Nicht der INN fließt hier in die Donau, sondern genau umgekehrt: diese nämlich in den breiteren und wasserreicheren INN. Der Inn verliert seinen Namen an die Donau! Dies war aber nicht immer so. Wie so oft ist auch diese Geschichtslüge römischen Ursprungs.

Passau. Nicht der Inn fließt hier in die Donau, sondern umgekehrt, diese in den breiteren und wasserreicheren Inn.

Schon die antiken Geographen haben bei der Erwähnung der großen Flüsse nach deren Ursprung gefragt und mehr oder weniger bestimmte Meinungen dazu aufgestellt. Herodot nimmt als Ursprung des heute Donau genannten Hister die Stadt Pyrene „im Lande der Kelten“ an. Diese Angabe mutet dunkel und mehrdeutig an, immerhin denken wir bei der Silbe PYR unweigerlich an die Pyrenäen in einer ganz anderen Ecke Europas. Die antiken Autoren bezeichneten aber auch die Alpen so, der uralte Stamm PYR lebt noch in unserem Gepyrge und verwandten Wörtern fort. Gänzlich gelöst ist der Zweifel, wenn wir die römerzeitliche Bezeichnung für den BRENNERpaß heranziehen: mons pyrenaeus. Auch im steirischen Pyhrn, dem Pyhrnpaß, dem großen Pyhrgas und dem Großen Priel im Toten Gepyrge lebt dieser, wahrscheinlich vorindogermanische, Stamm fort. Schließlich hieß die perfekte Abstraktion des Themas BERG, der künstliche Kult-und Grabberg, ägyptisch Pyramide. Mit Pyrenäen war wahrscheinlich allgemein das Gebirge gemeint. Das griechische PYR (für Feuer), von dem Feuer, Furor und ähnliche Wörter abstammen, aber auch unser BRand, ist hier interessant, spannt sich doch der Bogen von Pyrenaeus zu Brenner für ein und denselben Paß.

In diesem uralten Gepyrge entspringt also unser Inn: in den von den hier seit Urzeiten wohnenden Rätern5 so genannten Alpen. Als Inntal dürfte in antiker Zeit das Tal bis zum Malojapaß hinauf betrachtet worden sein; dieses Tal hieß damals wie heute Engadin oder Eniatino (aus rätoromanisch en co de ina, lateinisch „in capite de eni“, also „Am Kopf des Inn“, soviel wie: „Land beim Ursprung des Inn“).

Wenn wir dem INN oder dem EN flußaufwärts durch das schweizerische Unter- und OberengadIN folgen, gelangen wir, an Samaden, dem Hauptort des Oberengadin vorbei, nach SanMurezzan (St. Moritz) und dem gleichnamigen, vom Inn durchflossenen Sec. Dann folgen der kleine Campfersee und schließlich Silvaplaner- und Silsersee (Lej da Segl) mit dem Paßort Maloggia an seinem westlichen Ende. Den Ausfluß aus dem Lej da Segl nennen die Rätoromanen „Chieau d‘EN“, Kopf des Inn, und deuten damit an, daß sie hier den Beginn des Inn ansehen. Damit befinden sie sich in Gesellschaft der antiken Autoren, die als Flußursprünge Seen bevorzugten, „aus deren sicherem Behältnis, von den kleinen Gewässern gespeist, der Fluß seinen Ausgang nimmt“. (Strabo hat den Bodensee als Ursprung des Rhein betrachtet.) Welcher der Zuflüsse des Silser Sees als Inn betrachtet werden kann, ist lange Gegenstand verschiedenster Deutungen gewesen. Die von den Bernina-Gletschern (Bernina=Pyrnena=Berg der Flüsse) gespeisten Bäche münden in die östliche Breitseite des Silser Sces. Einzig die vom Lunghinogsee unterhalb des Piz Lunghino kommende Ova d‘OEN gießt sich knapp an der Wasserscheide zwischen Adria und Schwarzmeer bei Maloggia, dem äußersten Ende des Engadins, in den Silser See und gilt heute als der junge Inn.

Das Wort Inn, römisch Oenus, griechisch Ainos, rätoromanisch En, dem wir mit dem Lauf des Inn (selbst nach Passau) noch oft begegnen werden, entstammt einem keltoillyrischen, wahrscheinlich aber noch älteren an, en, in mit der Bedeutung „fließt“. Hiezu gehört auch das irisch-keltische am, Wasser, Fluß.

Die indogermanische Präposition an, anu bedeutet allgemein ein „an„, an einer schrägen Fläche hinauf. Auch das sanskritische sindh, Strom, Fluß, von dem sich der Indus und die Hindus, die Bewohner dieser Flußlandschaft, ableiten, gehört zu diesem Urstamm „in„. Wenn man den Begriff Strom, Fluß, Bach noch weiter abstrahiert von „fließen“, als auch von „hinansteigen“, kommt man zu In-Sein, im Sinne von Innesein, drinsein (im Tal, im Gelände, in der Erde).

Von allen Flüssen keltisch-illyrischer Nomenklatur trägt der Inn das Urwort für Fluß bar jeder Ergänzung durch Suffices. Wer hätte dem Inn solches zugetraut! Der Fluß, oder „das INN„, wie die Inntaler sagen6, muß also länger sein als die 510 Kilometer von Lunghino bis Passau. Einzig der Indus noch trägt seinen Namen so stolz und beinamlos. So große andere keltische Flüsse wie die Rhône (röm. rhodanus), der Rhein (rhenus), die Seine (antik. senona) und die, zugegebenermaßen kürzere, aber doch recht prominente Themse (tamesa) bescheiden sich damit, nicht d e r Fluß zu sein.

Wie kommt es nun, daß der Fluß der Flüsse bei Passau (Castra Batava) seinen Namen an die Donau verliert? 15. v. Chr. besetzt Rom zur Sicherung seiner Nordgrenze das schon seit einem Jahrhundert in einem Königreich keltischer Stämme geeinte Noricum, vermutlich kampflos. (Im Grunde typisch für unsere Verhältnisse, auch 1938 war es ja nicht anders.) Die heutige Donau wird Grenze des römischen Reichs, der Unterlauf des heutigen Inns jene der Provinzen Raetia und Noricum. Ab dem heutigen Wien, das in antiker Zeit noch die Grenze zwischen den keltischen Norikern und den schon thrakischen PannONiern markierte, hieß der Fluß Hister oder Ister, thrakisch Istros, wobei sich hier sprachlich der Volksstamm der Histri oder Istri (vide das dalmatinische Istrien!) für die mutuelle Namensspendung anbietet7.

Der Inn fiel der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Flußbenennung entlang der römischen Nordgrenze zum Opfer. Auch die römische Neurose des Gerademachens mag hier eine Rolle gespielt haben. Die Sprachgrenze, die hier, ähnlich wie beim heutigen Eisernen Vorhang, sofort entstehen mußte, förderte diese Entwicklung. Die antiken Geographen tradierten diesen Sachzwang im Grunde bis in heutige Zeit, und so heißt es eben von Passau bis zum Schwarzen Meer „Donau“ und nicht mehr „das Wasser“, INN. Keltisch-norische Geschichtsschreibung aus dieser Zeit könnte uns natürlich in dieser Frage weiterhelfen, doch die Kelten waren kein Schreibervolk. Woher stammt aber dann der Name Donau für den ganzen Fluß, der im übrigen erst vom Zusammenfluß von Breg und Brigach an, bei Donaueschingen, so heißt?

Etymologisch gesehen ist Donau aus dem sarmatischen DAN, DON (Fluß, Strom) entstanden, so wundert es auch kaum, daß es im Osten fast keinen größeren Fluß gibt, dessen Name sich nicht davon herleitet. Der Don (griechisch Tanais, tartarisch Tuna, Duna (!), der Urs-Don (weißer Fluß), der Kisil-Don (Goldfluß) fallen natürlich zuerst ins Auge. Aber auch der Donez, ein Don-Zufluß, gehört hierher. Hingegen sind Dnjestr (Danaster) und Dnjepr (Danapris) schon schwieriger zu erkennen. Alle erwähnten Flüsse sind (für europäische Verhältnisse) recht beachtlich in ihrer Größe8, womit indogermanisch „dan“ für starkfließendes Gewässer auch zutrifft.

Der Inn/Ister dürfte seinen Namenswechsel den nomadisierenden Sarmaten verdanken, die ihren heimatlichen Flußnamen Don (der antike Grenzfluß zwischen Europa und Asien, zwischen Skythen einerseits und Saramaten andererseits) hierher gebracht haben dürften. Daraus wurde dann römisch Danuuius, Danubius

Oberengadin. Wo der Inn beginnt.

und über ahd. Tuonouw und mhd. Tuonouwe schließlich unser heutiges Donau9.

Wenn nun INN/Hister vom sarmatischen Donau nur überlagert wurde, müßte der Stamm IN, AN entlang des Flußlaufes noch vorhanden sein.

Im rätoromanischen Engadin sind diese Komposita mit in, an, en natürlich am leichtesten zu finden. Der erste große Innzufluß nach San Murezzan ist der Flaxbach (die Bernina), etwas weiter flußabwärts stößt das Val Susauna mit seiner Fortsetzung im Val Funtauna ans Engadin, bei Sur-Ens (soviel wie Oberinn) etwas unterhalb vom Ort Ftan (oder fetan), schon im Unterengadin, fließt die Uina in den Inn, im österreichischen der aus dem Samnaun kommende Schergenbach.

Etwas bekannter sind natürlich die Stanzertaler Rosanna und die Paznauner Trisanna, die kurz, bei Grins und Stanz, als Sanna fließen, bevor sie bei Landeck in den Inn münden.

Im Oberinntal finden sich solch eine Menge von Orten, die IN, AN, EN enthalten, daß nur die bekanntesten erwähnt sein mögen.

Zams, Wenns, Imst (lat. umiste), Tarrenz, Stams, bei Kematen das Sellrain. Innsbruck kann hier nur insoferne angeführt werden, als es seinen Namen natürlich vom Inn hat. Das lateinische OEN/pons ist aber erst die Ubersetzung des deutschen Innsbruck und nicht umgekehrt. Das antike Oenipons lag bei Rosenheim, wo aus pons Oeni direkt das heutige Pfunzen entstanden ist. Hingegen leitet sich Wilten vom römerzeitlichen Veldidena (Inntal) ab.

Die Fluß- und Ortsnamen des Unterinntales auf Tiroler Boden sind heute fast alle bayerisch/schwäbischen Ursprungs. Aber, wie unschwer zu erkennen ist, steckt natürlich auch in Wattens, Terfens und Stans das alte en. Der Jenbach ist sogar eine germanisch-keltische Tautologie. Im bayerischen Voralpengebiet verlieren sich die Hinweise auf keltische Flußnamen. Fast wäre man versucht, doch den Inn in die Donau fließen zu lassen, wäre da nicht die eindeutig keltische (schon norische), rechtsufrige Antiesen bei Schärding. Die Salzach, eine keltische Isonta, von der die den Pinzgau einst bewohnenden AMbisonten ihren Namen haben. Aber auch hinter Passau besinnt sich der Inn auf seine Ursprünge: Schon kurz nach Aufnahme der Donau finden wir die, aus dem Norden kommende linksufrige Ranna (vgl. die Orte Oberanna, Niederanna und Rannariedl).

Etwas weiter flußabwärts macht die Donau eine Schlinge, in der sie ihre Laufrichtung um 180 Grad ändert. Allen Sarmaten zum Trotz hat sich dort der Ort Innzell (!) gehalten. Von da ab wird’s nur noch keltischer; der Innbach, wie der Tiroler Jenbach eine Tautologie. Natürlich steckt in auch in Linz (römisch lentia, keltisch Lenta), auch der keltische Rhein (renos) hat s e i n Linz gegenüber der Ahrmündung. Keltisch sind natürlich auch die Traun (truna) und die Anisa (die heutige Enns, römisch anesus). Auch die linksufrige Naarn ist keltisch (vgl. dazu den nordschottischen Küstenort Nairn, westlich von Aberdeen). Auch den Kamp findet man an Rhein und Inn, das keltische cambo bedeutet wie das lateinische campus Tal, Ebene, Niederung. Die Krems (cremisia) ist der westfälischen Ems (Amisia) verwandt, während die Traisen kein Zwilling der Tirolerischen Trisanna ist.

Der keltisch-illyrischen Siedlung Vedunia, vedunis (Waldbach) (auf dem Leopoldsberg?) verdankt Wien seinen keltischen Namen. Auch der heutige Kanal, die einstige Wien, ist solch ein vedunia, Waldbach, aus dem über Wieden unser Wien (Vienna), auch die Variante Favianis wurde. Das in der Schule gelehrte VINDOBONA, an dem wir als Kinder schon hart kiefeln mußten, ist aus vedunia bona entstanden.

In unserem römisch aufgepfropften Donauwahn haben wir uns die Sicht auf den Inn jahrhundertelang durch vinDOboNA verstellen lassen. Ohne Zweifel fließt aber auch durch Wien schon lange der schöne Inn so wie durch Innsbruck und Linz, womit er zu einem geradezu reinösterreichischen Fluß wird. Mosaiksteinchen am Rande sind Enzersdorf und Rodaun (der keltische Waldbach Rodanna) und der nicht zufällig gewählte Name UrANia10 für den Ort des Zusammenflusses von Wien und Inn. Mit etwas Phantasie ließe sich auch Carnuntum heranziehen, bei Hainburg wäre es zu schön, aber sie ist die schon im Nibelungenlied besungene Heimburc, die Burg des Haimo. Hinter Wien betreten wir schon skythisch-thrakisches Sprachgebiet, weshalb der Inn endgültig Hister und dank sarmatischem Einfluß in allen Slawensprachen Don, Donau heißt.

Bei der Rückbesinnung auf den alten Namen des – Wien ja schon gar nicht mehr richtig durchfließenden – Stromes, stoßen wir natürlich auf hürdenreiches Terrain. Österreich badet in einer Keltenrenaissance. Nicht alle diese Aktivitäten entbehren allerdings der Tarnung. Keltensymposien und Druidenlehrgänge sind natürlich nicht zu übersehen, aber auch auf dem Gebiet der Kunst wird’s immer keltischer. Der „Wiener Aktionismus“ und das Orgien-Mysterientheater Nitschs sind in Wahrheit norisch-keltische Kulthandlungen. Unverblümt offen keltisch-kultisch ist das Projekt „Minus Delta T“ zweier österreichischer Künstler, einen tonnenschweren norischen Menhir mit Hilfe eines Lastwagens bis ins sarmatische Tibet zu bringen; Die Baumverehrung der österreichischen Grünen, die sich politisch von der deutschen Schwesternpartei unterscheidet, ist Rückbesinnung auf keltisches Erbe.

Kein Wunder, daß sich die Sarmaten Benya und Brezovsky12 hier querlegten, galt es doch, den kultischen Auwald und den verhaßten DON in die Schranken zu weisen.

Wenden wir uns aber wieder Wien zu. Hat nicht das keltische Element im mittelalterlichen Wien sich hartnäckig dagegen gesträubt, auch nur einen einzigen Topos der Inneren Stadt mit der sarmatischen Don-Silbe zu beflecken? St. Stefan11, auf einem alten heidnischen Heiligtum erbaut und die nach Noricum führende Kärntner Straße (via Carantana), sowie der beliebte Kultort Helden-(Kelten-)platz sind beredte Zeugen alten Keltentums.

Sonst hat sich natürlich noch einiges Keltisches in Wien gehalten. So zum Beispiel der Wiener Traditionalismus des „nur ned Hudeln“, den wir genauso unverbrämt im tiefsten Gallien wiederfinden. Auch die manische Menhir-Verehrung der ebenso zahlreichen wie uninteressanten Wiener Denkmäler – sie sind in der Form fast ausschließlich phallischen menhir-(Mann hier-) artigen Charakters – ist keltisches Kulturgut. Die Druiden Wiens sind in den hehren, geheimnisumwobenen Ständen der Rechtsanwälte und Ärzte, die nirgendwo wie in Wien solche Verehrung genießen, zusammengeschlossen. Meine Verehrung, Herr Hofrat Dr. Druide, Handkuß an die Gemahlin. Die Wiener Politiker führen dagegen ein eher weltliches Dasein sarmatisch-demokratischen Zuschnitts.

Die Contradictio des sarmatischen Menhirs, des Denkmals vom russischen Befreier, wußten die Wiener auch geschickt hinter dem noch nicht urinierenden Hochstrahlbrunnen aufzubauen. Sarmatisch nach wie vor ist aber die Wiener Pferdeverehrung der Fiaker und natürlich der sarmatischen Hofreitschule, die allerdings kaum von den Wienern selbst besucht und verehrt wird. (Hingegen ist der sarmatische Diplom-Nomade Waldheim ein bekannter Pferdefreund.)

Die Rückbenennung der Donau und des Hister in INN stellt uns vor einige Hindernisse. Kein Problem dürfte der Lauf der Donau von Passau an sein. Bis Passau fließt ja jetzt schon der Inn mit eigenem Namen, also auch auf freistaatlich bayerischem Gebiet. Die kurze Strecke von knapp drei Kilometern, vom Zusammenfluß von Donau und INN bis zur österreichishen Staatsgrenze, dann noch unter Donau zu führen, würde sich bald als politischer Treppenwitz erweisen. Im Ungarischen müßte man allerdings der Tatsache ins Auge sehen, daß mit den Sarmaten nicht zu scherzen ist, ab da wird der Inn, wie einst Hister, doch Donau heißen müssen.

Die Umbenennung der Donau bis Passau hinauf in Inn und deren Fortführung bis ins Engadin, hat durchaus europäische Dimension: Die Ursprünge der Flüsse Rhein, Rhône, Inn und des Pozuflusses Ticino liegen auf einer nur 90 Kilometer langen, fast geraden Linie entlang der großen europäischen Wasserscheide und entwässern so Europa in allen Himmelrichtungen: in die Nordsee (Rhein), das schwarze Meer (Inn), das Mittelmeer (Rhône) und in die Adria (Po). Die Donauursprünge Breg und Brigach entspringen hingegen weit abseits, jenseits des Bodensees im badischen Rheinknie.

Die heute bei Wien regulierte Donau könnte in den alten, vielarmigen INN rückverwandelt werden . . . In drei, vier Generationen mit regelmäßigen Überschwemmungen könnte wieder ein prächtiger Innwald entstanden sein. Bis dahin sollte die Alte Donau in diesem Sinne ihren Namen beibehalten, ebenso die Neue Donau, das ehemalige Inundationsgebiet (dessen Name, typisch für die wienerische Umstandsmeierei, ja auch keltischen Sehnsüchten entspringt: Inun-dationsgebiet, vergleiche hiezu auch die UNo-City). Für die schiffbare, heutige Donau schlage ich den vorläufigen Namen „sogenannte Donau“ vor, der Donaukanal ist ja jüngst ganz offiziell, wenngleich etwas klein-laut, in kleine Donau umgetauft worden. Diese ist aber, hier kann es keine Kompromisse geben, unter alter INN.

Bei der Planung des Stausees Wien waren natürlich sarmatische Flußverdränger am Werk (Ihre Kollegen in der Sowjetunion überlegen ja sogar ernsthaft, den sibirischen Ob nach dem südlichen Kasachstan zu verlegen. Mit 5000 km Länge ist er immerhin der sechslängste Strom der Erde). Daß aber Wien am Inn liegt, hat der alte Kelte Zilk längst geschnallt. Indem er nämlich den Kanal in die Kleine Donau verwandelt hat.

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1 „Wien ist ein Schiff„, André Heller, 1985.
2 Wie kürzlich entdeckt, nicht nur Katharina Schratt, sondern auch Anna Nahowsky.
3 Auch „Der unbekannte Plünderer“ genannt.
4 F.J. Strauß, auch er verlegt gern Bäche oder legt welche an. Etwa den Rhein-Main-Donaukanal.
5 lat. Raetia, zu kelt. rait = Gebirgsgegend; Räter, Rätier = der Gebirgler, Älpler, auch Vindeliker (davon augusta vindelicorum, Augsburg) das heißt „die Glücklichen, die Schönen, genannt. Ihre Herkunft ist trotzdem noch dunkel.
6 Mündliche Mitteilung von Prof. M. Scardanelli, Wilten.
7 aus Ister, Hister wurde über Vister, Oister unser Ostarrichi (das karol. Vistarrichi) und daraus Austria. (Also Histerreich)
8 (Dnjepr 2200 km Länge, Don 1970, Dnjestr 1352, Donez 1055) zum Vergleich die Elbe mit 1164 km.
9 ungar. Duna, tschech. Dunaj, serb./bulg. Dunay, rum. Dunarea, russisch Dunai.
10 Urania, die Muse der Astronomie – eine keltische Disziplin. Die Sternwarte mit ihrem Menhirförmigen Ausguck: a gael landmark.
11 Mit dem gotischen Riesen-Menhir, dem Stefansturm.
12 Das durch seine Reiter und Bogenschützen berühmte iranische Nomadenvolk der Sarmaten wird schon von Herodot in der Namensform Sauromaten östlich des Dons erwähnt; sie breiteten sich allmählich weiter nach W bis zur unteren Donau aus und verdrängten de Skythen Südrußlands.

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