Die österreichische Aufgabe

„Wir werden uns noch wundern, was alles geht“ lautet einer der zentralen Merksprüche des Landes, geprägt vom freiheitlichen Fastpräsidenten Norbert Hofer. In der Realverfassung Österreichs entspricht jeder Aussage auch sein Gegenteil, im vorliegenden Fall sogar zwei davon: „Wir werden uns noch wundern, was alles nicht geht“, und, vielleicht öfter gültig: „Wir werden uns nicht wundern, was alles geht“. Wunder kommen also und gehen, oder sie kommen nicht und bleiben. Eines dieser Wunder ist gerade passiert, und wir reiben uns gerade noch die Augen. Die einen von uns aus Freude und politischer Trunkenheit, die anderen aus Ernüchterung, aufgewacht in befürchteten Verhältnissen.

Eine Stimme hören wir in solchen Zeiten oft, es ist jene des amtierenden Bundespräsidenten (das Amt ist eines der wenigen, das noch nicht gegendert wurde), begleitet von den Einschätzungen und Bemerkungen emeriterter Vorgänger. Begriffe zirkulieren wieder, die mit den Kompetenzen der höchsten Instanz des Landes verbunden werden – „Sondierungsgespräche“, „Demokratische Spielregeln“, „Tapetentür“, „Vier-Augen-Termin“. Wir sollten uns auch nicht wundern, medial viel Personengeschichtliches aus der Hofburg erinnert zu bekommen – die einsame Gebücktheit des Reitersmannes Kurt Waldheim, die verbitterte Strenge des Erdbergers Thomas Klestil, die Schönwetterlaune von Stehfrisurmodell Heinz Fischer. Der graugrüne Nikotinist Alexander van der Bellen hat realpolitisch überhaupt ein Novum eingeführt: Die Expertenregierung.

Es erwächst die Frage, wieso Regierungen nicht generell mit Experten gebildet werden.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 12. Oktober 2024.

Ausdrückliches Urwienerisch

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 41/2024 vom 9. Oktober 2024

Liebe Frau Andrea,
bei unseren Wiener Dialektabenden am 8. November und am 6. Dezember im Gasthaus Lebenstraum in der Brigittenau werden Lieder vorgetragen. Bei dem Lied „Urwiener Ausdrücke“ sind mir folgende Ausdrücke fremd: „Weche Rüttelbesen“, „Singhalesen“ und „Taschlbacher“. Können Sie helfen?
Liebe Grüße,
Otto Luif, Alsergrund, per Email

Lieber Otto,

in besagtem Lied mit dem Untertitel „O du süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Weanersprach!“ erzählt Textdichter Karl Molnár zur Musik von Theodor Antoniassi, Kapellmeisters des Volkstheaters, typische Szenen aus dem Wien der Gründerzeit: Die Annäherungsversuche eines gesetzten älteren Herrn an ein Wäschermädel, dem die begleitende Mutter derb Kontra gibt, oder die wortreichen Beruhigungsversuche einer blutjungen Mutter ihrem schreienden Kleinkind gegenüber. In der ersten Strophe des Lieds schimpft ein Fiaker mit zwei jungen Herren, denen die Taxe für die Fahrt zu hoch erscheint. Die Schnösel werden mit Ausdrücken wie Bücha (Pülcher, Verbrecher), und Fliagnpracker (Fliegenklatsche) eingedeckt, und schließlich mit den von Ihnen erfragten Invektiven.

Besagte „weche Rüttelbesen“, von Fiakern im Stall verwendet, waren als „Riadlbesn“ (Rütleinbesen, Rutenbesen) bekannt. Waren diese Kehrhilfen aus Birkenruten „wech“ (wehe), waren sie weich und ausgeleiert, also unbrauchbar. Mit dem Hinweis auf „Singhalesen“, die größte ethnische Gruppe Sri Lankas (Ceylons) verbindet sich die Erinnerung an jene ethnograpischen Spektakel, die 1885 täglich im Circus Eduard Wulff in der Rotunde im Prater stattfanden. Carl Hagenbeck’s Singhalesen-Karawane, eine Zirkustruppe aus Ceylon präsentierte „51 Einwohner der Insel Ceylon, eine ganze Herde Arbeits-Elefanten, mehre Rinder der Zebu-Rasse“ sowie „interessante Schamanen, Fecht- und Teufelstänzer“. Tempelfeierlichkeiten und die imposante „Perraherra-Karawane“, eine Nachstellung des jährlichen Festzugs zu Ehren der Heiligen Zahnreliquie Buddhas hatten sich fest ins Gedächtnis der Zeitgenossen eingeschrieben. Als „Tatschlbocher“, also Tascherl-Bäcker wurden in despektierlicher Absicht genderdeviante Konditoren und Zuckerbäcker bezeichnet.
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Spompanadln machen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 40/2024 vom 2. Oktober 2024

Liebe Frau Andrea,
am Frühstückstisch mit meinen Kindern entstehen oft chaotische Zustände. Das Essen wird nicht nur zum Essen verwendet, Spielzeug wird herangezogen und das stille Sitzen ist eine Seltenheit. Immer wieder fällt dann bei mir der Satz: „Du und deine Spompanadln!“. Ich verwende ihn auch oft an der Garderobe, wenn sich der Aufbruch, z.B. in den Kindergarten durch Trödeln oder die Weigerung, sich eine Jacke anzuziehen, verzögert. Die Reaktion darauf ist Gelächter, weil das Wort lustig klingt. Das kann ich gut nachvollziehen. Es fällt meiner Meinung nach nicht in die Kategorie der strengen Wörter. Aber was hat es damit auf sich? Vielleicht können Sie mir weiterhelfen.
Liebe Grüße,
Dominik Hubmann, Hernals, per Email

Lieber Dominik,

ich darf Ihnen zum richtigen Gebrauch des urwienerischen Begriffs gratulieren. Das Mehrzahlwort „Spompanadln“ bezeichnet die übertriebene, mit Gesten unterstützte Widersetzlichkeit, die zeitschindende Extratour, das umständliche Getue, das Herumgezicke und Faxenmachen, das prokrastiniernde Geblödel, bisweilen auch Dummheiten und ausgefallene Ideen, zu unpassender Zeit präsentiert. Die Sprachforschung zieht das Italienische als Herkunft heran, wo die „spampanata“ und „spampinata“ die übermäßige Prahlerei bezeichnet(e), die exhibitionistische Zurschaustellung von Luxus, Kleidung oder Ornamenten, das stümperhafte Verhalten, die windige Behauptung, aber auch die weitschweifige Rede, sodann das unkontrollierte Lachen, alle Formen unverhältnismäßigen, abwegigen, und ungeheuerlich Verhaltens, und sogar das Anbringen einer übertriebenen Anzahl von Plakaten. Im Roman „Ragazzi di vita“, 1955 erschienen, beschreibt Pier Paolo Pasolini mit „spampanate“ das Hervortreten eines schlaffen Hinterns aus der Sessellehne.

Spampanare, spampinare dürften von pàmpino, Weinblatt kommen und ursprünglich als expampinare, espampinare, spampinare das ungestüme Ausbreiten der Weinreben, und schließlich in Bedeutungsumkehrung deren Zurückstutzen bezeichnet haben.

Ein wortwörtliches Synonym für Spompanadln wäre „Weinblattligs Umanada-Wogsn“ (Weinblättriges Herumwachsen). Prost.

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Ideale Kandidatenliste

„Wer die Wahl hat, hat die Qual“, lautet ein altes österreichisches Sprichwort, es wurde längst ersetzt durch die besser passende Erkenntnis „Wer die Wahl hat, hat das Sprichwort“.

So gerne sich die Wahlberechtigten in diesem Land auch in die Befindlichkeit flüchten, Wahlen seien ein unabwendbares Übel, so wenig reflektieren sie, dass Wahlen hierzulande nicht zur Tradition gehören. In den Wertelisten kommen Lederhose und Dirndl vor, das Christkind und der Osterhase, das Schnitzel und der Kaiserschmarrn, nicht jedoch die Wahlurne und die Gewaltentrennung.

Die zivilisatorische Decke der Demokratie ist dünn, die Älteren unter uns sind noch in Diktaturen aufgewachsen, nicht wenige der Zugezogenen kommen aus solchen, und eine vom Bösen erigierte Gruppe Junger und Altjunger sehnt den „Starken Mann“ herbei. Kommentatoren und Analyse-Gschaftlhuber mahnen Leadership ein, Aufräumerqualität, Durchsetzungskraft. Meist bei denen, deren Schwäche sie fahrlässig herbeigeplaudert haben. In Debatten dominiert der laute Ton und das Sprechdauerfeuer über das Argument und die Sachkenntnis. Aggression wird mit Souveränität verwechselt, Phrasengedresche mit Professionalität, Politik mit Sport. Der Sieger darf alles. Der Zwischenzeitsieger auch schon.

Wie sagte der tiefrote Langzeitbürgermeister Wiens, der gelernte Niederösterreicher Michael Häupl, einst? „Wahlkampf ist eine Zeit fokussierter Unintelligenz.“ Mittlerweile gilt:

Wahlkampf ist eine Zeit unfokussierter Unintelligenz.

Und ab Montag heißt es: Nach dem Wahltag ist vor dem Wahltag.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 28. September 2024.

Oktoberfestfrage

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 39/2024 vom 25. September 2024

Liebe Frau Andrea,
als Münchner-Oktoberfest-Novize können mir selbst die Münchner nicht erklären, warum wir in einer „Boxe“ im Festzelt sitzen. Liegt es daran, dass Münchner der Ein- und Mehrzahl nicht mächtig sind? In der Hoffnung, dass Fragen aus dem nahen Ausland auch beantwortet werden,
liebe Grüsse,
Thomas Weihs, per Email

Lieber Thomas,

wir kennen den Begriff „Box“ aus dem Automobilrennsport, wo er die garagenartige Werkstatt der Mechaniker und Betreuer eines Teams bezeichnet. Verwendete doch das Englische das Wort (Mehrzahl Boxes, Boxen) ursprünglich für das Einzelabteil im Pferdestall. Die Box, über das altgriechische πύξος (púxos, Schachtel), das lateinische pyxis und das proto-westgermanische *buhsā kommend ist eng verwandt mit unserem Wort Büchse.

Das Münchner Oktoberfest, von Mitte September bis Anfang Oktober ausgerichtet, von den Einheimischen „Wiesn“ genannt, ist das weltweit größte Volksfest, 2023 von 7,2 Millionen Menschen besucht. Es findet seit 1810 jährlich auf der Münchner Theresienwiese in mittlerweile 38 Festzelten von enormen Ausmaßen und phantastisch-folkloristischer Ästhetik statt. 6,5 Millionen Maß Bier werden konsumiert, 450.000 Brathendln und immerhin 177 Ochsen.

Als historischer Ursprung gilt die Hochzeit Kronprinz Ludwigs von Bayern und Prinzessin Thereses am 12. Oktober 1810, in deren Rahmen in München zahlreiche Feiern stattfanden, darunter ein Pferderennen. Nach Auskunft einer Instanz auf dem Gebiet der Oktoberfest-Forschung, Dr. Florian Dering, langjährigen Sammlungsdirektors und stellv. Leiter des Münchner Stadtmuseums hatte das Wort „Box“ für den Pferde-Einstellplatz direkten Einfluss auf die Namensgebeung für die logenartigen Abteilungen in den Seitenschiffen der Festzelte, zu denen nur die betuchten Mieter der jeweiligen Boxe und ihre Gäste Zugang bekommen. In der Zusammenschau der Einschätzungen auch anderer Experten (Großdank an Kollegen David Baum!) ist der Ausdruck „Boxe“ eine Eleganzüberhöhung des ursprünglichen Wortes, ganz wie die Münchner im Schönsprech-Versuch den Ochs (Ox) Ochse nennen, und die Wiesn Wiese.


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Das Scherzerl und die klugen Bücher

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 38/2024 vom 18. September 2024

Liebe Frau Andrea,
meine Mama und ich haben gerade Chili gekocht und dafür schon das Brot aufgeschnitten. Und ich liebe das Scherzal. Da hab’ ich meine Mama gefragt, warum das Scherzal Scherzal heißt? Sie wusste es nicht. Aber sie hat mir erzählt, dass man Sie so etwas fragen kann. Weil Sie fast alles wissen oder sonst in schlauen Büchern nachschauen können. Ist das so? Und stimmt es, dass Sie ganz viele schlaue Bücher zuhause haben? Ich freu mich auf eine Antwort. Danke.
Liebe Grüsse,
Selma, 5 Jahre, Wien, Leopoldstadt

Liebe Selma,

vielen Dank für Deine kluge Frage. Warum das runde Ende vom Brot Scherzerl heißt, hab ich vor zwei Jahren schon beantwortet. Wichtige Sachen aber kann man wiederholen, sagen wir von der Zeitung! Dein geliebtes Scherzerl heißt so, weil es abgeschnitten wird. Es kommt von einem Wort, das vor tausenden Jahren noch *sker hieß. Daraus wurde bei uns irgendwann scurz, scurt, in England scort, und später short (kurz). All diese Wörter bedeuten mehr oder weniger „abgeschnitten“, weil sie von diesem alten Wort *sker, schneiden kommen. Unsere Wörter scheren, schirren, scharren, schürfen, scharf, die Scherbe, die (Pflug-)schar, die Scharte und die Schere sind daraus entstanden. Und natürlich das Scherzerl! Deine Mama kann Dir erklären, was die gerade aufgezählten Wörter bedeuten, die Du vielleicht noch nicht so gut kennst.

Ich weiß übrigens überhaupt nicht viel! Aber ich will viel wissen. Fragen und Wissenwollen ist ganz wichtig! Als ich so alt war wie Du, habe ich auch meine Mama gefragt, und später ein Buch namens Lexikon. Dort hat nämlich meine Mama nachgeschaut, wenn sie mehr über ein Wort wissen wollte. So habe ich begonnen, in Büchern zu lesen, was mich interessiert hat. Und da sind im Laufe vieler Jahre viele Bücher zusammengekommen. Manche klug, manche, die nur so taten. Das ist nämlich auch wichtig. Zu wissen, ob ein Buch klug ist, oder nicht. Viel Kluges findet man auch im Internet, in Büchern, die man am Computer lesen kann. Alte Bücher, die in den großen klugen Bibliotheken mit vielen tausend Büchern stehen. Soviele könnte man niemals zu Hause aufstellen! Liebe Grüße, auch an Deine Mama, Deine Andrea.


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Farben des Herbstes

Grundsätzlich wäre ja alles in Österreich rotweißrot tingiert. Automatisch. Austromatisch. In der Nationalkombination, bekanntermaßen (wenn auch historisch nicht gesichert) in einer Kreuzfahrer-Schlacht entstanden. Gäbe es nicht noch das eigenbrötlerische, nicht auf der Klachlsuppe dahergeschwommene Steirergrün. Die Flaggenfarben der restlichen Bundesländer sind mythentechnisch kaum aufgeladen, gelb kommt noch vor, in Niederösterreich gemeinsam mit tiefem Blau. Das wars. Die politischen Parteien orientieren sich heraldisch international. Der Ausreißer Türkis ist mittlerweile fast vergessen. Hin und wieder taucht es auf historischen Schnappschüssen der Fußballnationalmannschaft auf. Türkis-Schwarz seien die Komplementärfarben von Rot-Weiß, hieß es damals sardonisch. Der Nachweis ließ sich groteskerweise sogar erbringen.

Wie auch immer, der österreichische Herbst prunkt mit eigenem Farbenspiel. Dem leuchtenden Backenrot der Erstklässler·innen, dem Orange-Grün des letzten Freibad-Twinnis, dem Azur der klaren Herbsthimmel, und bald aktuell: Dem unscheinbaren Grau der Wahlurnen. Dem stillen Dunkelblau der Kugelschreiberkappen, mit denen wir die Wahlzettel ausfüllen, intim beschattet vom stumpfen Braun der Wahlkabinenwände. Sie gehören zum Farb-Inventar des österreichischen Herbstes. Ihre Aktualität endet mit den wachsenden Säulen der ersten Hochrechnung und den blassen (oder geröteten) Gesichtern der politischen Akteure.

Der Herbst ist ein Maler, sagen die Dichter. Malerinnen und Dichterinnen schweigen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 14. September 2024.

Wieviel Brat steckt im Rabenbratl?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 37/2024 vom 11. September 2024

Liebe Frau Andrea,
der lesenswerte Artikel in Falter [31] über Brat ließ mich spontan an den Ausdruck „Robnbratl“ (Rabenbraten, verniedlichend) denken, der in meiner Jugend von Eltern und Großeltern gebraucht wurde für Mädchen, die sich zwar nicht „wie es sich gehört“ verhielten, deren Verhalten aber trotzdem belustigte Anerkennung fand. „So ein Robnbratl“, hieß es dann. Wo kommt der Ausdruck Robnbratl her? Kann es sein, dass an der Assoziation mit dem modernen Brat etwas dran ist? Und überhaupt: Was wäre eigentlich die korrekte Mehrzahl von Brat im ersten Satz? Brats, Braten, BratInnen?
Danke für ihre Gedanken,
Karin Rumpelsberger, Ü50, via Email

Liebe Karin,

Brat (soviel wie „Göre“) ist das sechste, Anfang dieses Sommers veröffentlichte Studioalbum der britischen Sängerin und Songwriterin Charli xcx. Die Etymologie des englischen Ausdrucks ist noch nicht hinreichen geklärt. In den frühesten Verwendungen ab 1500 bezieht sich der Begriff brat, Mehrzahl brats eher auf ein ungewolltes oder ungeplantes Kind als auf ein bestimmtes Verhalten. Brat unterscheidet sich vom Bastard dadurch, dass ein verheiratetes Paar ein brat haben kann.

Ist das englische brat das Brat aus unserem Rabenbrat(l)? Wahrscheinlich nicht. Mit den aasfressenden Raben verbindet die Volksseele wenig Erfreuliches. Ihnen wird nach mittelalterlicher Vorstellung nachgesagt, ihre Jungen aus dem Nest zu werfen, weil sie zu faul sind, diese zu füttern. Das hat sich in Ausdrücken wie Rabenmutter, Rabenvater, Rabeneltern, Rabentochter, Rabensohn, Rabenkind für hinterhältige, gewissenlose, faule Menschen niedergeschlagen, und in Rabenvolk und Rabenzucht für Gesindel und Verbrecher.

Beim zweiten Wortbestandteil von Rabenbrat(l) ist weniger an den Braten (in der Röhre) zu denken, als an das alte, nur mehr selten benutzte „Brad“, „Brät“, mhd. brât, das faschierte (rohe) Fleisch für die Wurstfülle, das ursprünglich Fleisch und Weichteile am Körper bezeichnete. Nicht unwahrscheinlich, dass es sich mit Brut (wie in Rabenbrut) zur heutigen Bedeutung vermischt hat. Demnach wäre Rabenbrät synonym mit Rabenaas, das faulige, aasige Fleisch, von dem sich Raben und ihre Brut ernähren.


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Wenn der Naz brennt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 36/2024 vom 4. September 2024

Liebe Frau Andrea,
in unserer Region sagen viele Menschen zum elektrischen Strom „Naz“. Also, zum Beispiel „Pass auf, dass di da Naz ned dawischt!“ oder „Do is da Naz drin, schoit zeascht o.“ Oder „Jetzt häds mi fost gnazt.“
Mit freundlichen Grüßen,
Susanne Göschl, Zwettl, Waldviertel, per Email

Liebe Susanne,

das Wort ist im Wienerischen nicht (mehr) geläufig. Wäre dem so, hätte es der Favoritner Elektriker Mundl Sackbauer gewiss verwendet. In Wien zirkuliert eine andere energiespezifische Metapher, „die Gas“ (die Geiß), mit der die vielhunderttausenden Durchlauferhitzer der Bundeshauptstadt betrieben werden. Eine Nähe zum Ausruf „Bumstinazl“ (beim Hinfallen eines Kindes) kann nicht ganz ausgeschlossen werden, sie bezöge sich dann auf die Bombenattentate der illegalen Nazis. Gäbe es einen Waldviertler Energieversorger mit einer Abkürzung, die „Naz“ ähnelte, oder einen lokal berühmten Elektrikermeister mit Vornamen Ignaz (Koseform Nazl, Naz), wäre der Fall gelöst. Ganz unmöglich sind diese Erklärvarianten nicht.

Größere Wahrscheinlichkeit einer zutreffenden Deutung liegt in der sprachlichen Nähe von „Naz“ zu „Nass“ und „Nässe“, und zu einer brennenden, stechenden, dem leichten Stromschlag nicht unähnlichen Erfahrung: Der Berührung mit der „Nessel“, im heimischen Normalfall mit der Brennnessel. Die Nessel, mittelhochdeutsch nezzel, althochdeutsch nezzila, ist eine Weiterbildung zu einem älteren *naton, das noch erhalten ist in althochdeutsch nazza.

Mit der Vorstellung, dass in einem elektrischen Leiter etwas „fließt“, „strömt“ verbindet sich nicht nur unser Wort „Strom“, sondern offenbar auch das waldviertlerische „Naz“, das „Nasse“, „Nassmachende“, „Nesselnde“. Lautete das alt- und mittelhochdeutsche naz (nass, benetzt von), und das Verb nazên, nazzên, mitteldochdeutsch nazzen soviel wie „naß sein“ oder „naß werden“. Das Mittelwort dazu war schon damals „genetzet“, „genazt“.

Unser Begriff „Der Naz“ dürfte die abergläubische Zuschreibung all dieser Zusammenhänge an einen unsichtbaren Geist sein, der in der Leitung wohnt und die Unvorsichtigen, netzt, benetzt, nesselt, sticht.


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Sportarten für den Herbst

Österreich ist eine Sportnation. Im Schifahren sind wir die Größten (ab und an gestört durch respektlose Schweizer, Norweger, Amerikaner und Schneeblinde). Jochen Rindt, Niki Lauda und der Hättiwari Berger haben sich und uns in die Geschichtsbücher der Formel Eins geschrieben. Auch wenn es um die österreichische Kreisfahrt momentan still geworden ist: Am Bullensprudelring kommt kein benzinbegeisterter Sportenthusiast vorbei. Und vergessen wir nicht: Ein Hiesiger wurde Mister des Universums, Terminator, Governator gar. Und erst jüngst promovierten wir am europäischen Rasen. Der fußballerischen Gruppenphasenkompetenz der Ralf-Rangnick-Truppe wird man noch in Jahrzehnten in Ehrfurcht gedenken. Wie man es dreht und wendet: Auf den Wettkampfstätten der Welt sind Österreicher zuhause. Österreicherinnen sind seit Annemarie Moser-Pröll immer mitgemeint.

Auch der kleine Mann und die kleine Frau beteiligen sich aktiv am Sportgeschehen, kicken auf der Liegewiese, kraulen durchs Freibad, walken nordic, biken electric. Ganz unter uns sind wir ab dem Spätherbst. Sobald die Raupen den Altschnee zu weißen Bändern zusammengeschoben haben, begeben wir uns in die Schranzhocke, um das zu tun, was wir am besten können. Verdammt schnell zu sein. Und wenn nicht schnell, dann zumindest verdammt. Dann sitzt uns Armin Assinger im Ohr, warnt vor der Mausfalle, tschindert mit uns in den Steilhang, hört die Komantschen an der Hausbergkante pfeifen, und die Kuhglocken in der Querfahrt. Mit brennenden Schenkeln staucht es uns in die Kompression, bis wir Abheben im seligmachenden Zielsprung.

Alles von der Couch aus.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 31. August 2024.

Wie gendern wir die Cottage?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 35/2024 vom 28. August 2024

Liebe Frau Andrea,
vielleicht können Sie bei Frage nach der Herkunft des Namens „Cottageviertel“ die Frage klären, ob es seine Ureinwohner englisch als „cottage“ oder quasi-französisch als „kott‘äsch“ aussprechen.
Sicherlich können Sie dabei helfen, Danke!
Helmut Spudich, per Email

Lieber Helmut,

Ihre Frage erreicht mich über eine Kaskade redaktioneller Weiterleitungen. Aus der Korrespondenz geht hervor, dass Sie sich auf die Frage des Tages im Falter-Morgen-Newsletter vom 20. August 2024 beziehen, woher nämlich das Cottageviertel in Döbling seinen Namen habe. Vom dort vor hundert Jahren produzierten Hüttenkäse (Cottage Cheese), von einem englischen Grafen, der das Viertel erbaute und es nach den Häusern in seiner Heimat benannte, oder von den Villen, die dort im Stil englischer Landhäuser (Cottages) errichtet wurden.

Den Döblinger Regimentern sind die Zusammenhänge natürlich bekannt, und insbesondere den dort wohnenden Betuchten. Das Cottageviertel, jene exklusive Wohngegend beiderseits der Wiener Hasenauerstraße, zu etwa gleichen Teilen in Döbling und Währing gelegen, verdankt sein Entstehen dem Betreiben des 1872 gegründeten und vom Wiener Gründerzeitarchitekten Heinrich von Ferstel präsidierten Cottageverein, unter dessen Bauherrnschaft eine große Anzahl von Privatvillen erbaut wurde. Vereinsziel war es, das Wiener Bürgertum als Antwort auf die teuren Innenstadtpaläste an das Ein- und Zweifamilienhaus an der Peripherie zu gewöhnen und damit die Wohnqualität verbessern.

Das Stadtviertel wurde im englischen Landhausstil errichtet und müsste nach allen Regeln der sprachlichen Vernunft englisch adressiert und auf der ersten Silbe betont werden, also: Cottage, Kóttedsch, Dorf, nach seinem baulichen Programm ein englisches Dorf. Tatsächlich wird „die Cottage“ aber von Bewohnern wie Besuchern pseudo-französisch ausgesprochen: Kotéésch, Kotäsch. Komplizierterweise zirkulieren je nach Erkenntnisgrad beide Aussprache- und Genusformen, „das Cottage“ und „die Kotäsch“. Dass unbeachtet dieser Fragen dort „der“ Cottagekäse auf den Frühstückstisch kommen kann, steht (noch) nicht zur Debatte.


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Warum jeder eigentlich Guido heißt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 34/2024 vom 21. August 2024

Liebe Frau Andrea,
neulich samstags saßen wir frühstücksmäßig im Wirr am Brunnenmarkt und plauderten klug über dies und das. Und dann kam die Rede auf Ihre Kolumne über die Aussprache von „Guido“. Und dann einer von uns: In Wirklichkeit hieße jeder in Amerika grundsätzlich Guido. Habe er wo gelesen, aber vergessen wo.
Bitte klären sie uns auf! Liebe Grüße,
Lexi Maximilian, Wien Ottakring, vom iPhone

Liebe Lexi,

ein urbaner Mythos der US-Westküste fokussiert auf das Narrativ, Neugeborene aus Immigrantenfamilien wären häufig als „male child“ und „female child“ in die Geburtsurkunden eingetragen worden. Diese Bezeichnungen seien für staatlich vergebene Vornamen gehalten worden, weshalb viele Latinos in Los Angeles „Male Child Gonzales“ oder „Female Child Gonzales“ hießen. Belastbar ist diese These nur in Maßen.

Unsere Guido-Geschichte dürfte sich auf den männlichen Vornamen „Guy“ beziehen, der sich über das Normannische und Französische in England (und später in den USA) verbreitete, und wie Guido vom germanischen Namen Witu, Wido kommt.

Bekanntlicherweise verwendet die US-amerikanische Umgangssprache das Wort „guy“ synonym mit Kerl, Mann, Typ. Der Plural „guys“ bezeichnet auch Frauen, Mädchen und Gruppen beider Geschlechter so. Dieses „guy“ hat einen einzigen Vorfahren: Jenen historischen Guy Fawkes, der am 5. November 1605 in London ein Sprengstoff-Attentat auf König Jakob I. und das englische Parlament versuchte. In Erinnerung daran wurde am Jahrestag des Komplotts eine „Guy“ genannte Figur durch die Straßen getragen und anschließend in einem Freudenfeuer verbrannnt. Aus der Figur wurde die Beschimpfung „guy“, die im Lauf der Zeit zur Bezeichnung für einen Allerweltsheini verblasste. Sinngemäß leitet sich aus der Usance, Männer und Frauen als „guy“ und „guys“ zu bezeichnen, die amüsante Idee ab, alle US-Amerikaner hießen Guido.

Würde sich das auf Wien umlegen lassen, hießen die Menschen hier wohl längst Koffer, Pfosten oder Vollpfosten. Tatsächlich aber etabliert sich eine Bezeichnung für Leute aller Art gerade. Heißt doch bald jemand in Wien „Oida“ oder „Oide.“

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