So geht Wien!
Anekdote und Essay

Wien ist anders. Alles ist hin. 

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Anstelle eines Vorworts.

Wien ist weitgehend unbekannt. Wo es liegt, ist nicht ganz klar, wie es tatsächlich heißt, schon gar nicht. Was kann Wien und was nicht? Wie sagt wer was und wann und vor allem: Warum? Wer war wer und wieso nicht? Dieses Buch hat die Phantasie, in die Pestgruben der Überlieferung zu leuchten und den Geigenhimmel des Bekannten zu verdüstern. Wien, das wissen die Griechen unter uns schon längst, ist die Fortsetzung von Byzanz mit den gleichen Mitteln, der Minotaurus im Labyrinth, in dem sich alle auskennen.Wie soll man schreiben über diese Stadt? Welche Form will gefunden werden, um ihr Wesen zu ergründen, ihre Eigenheiten zu erkunden, ihre Protagonisten zu beschreiben?

In seinem Essay „Der Essay als Form“ versucht der Kurzzeitwiener Theodor W. Adorno ein Textgenre zu fassen, das im Deutschen nur selten als das verstanden wird, was es im Französischen bezeichnet: Den Versuch.

„Das Wort Versuch“, so Zwölfonstudent Wiesengrund, „in dem die Utopie des Gedankens, ins Schwarze zu treffen, mit dem Bewußtsein der eigenen Fehlbarkeit und Vorläufigkeit sich vermählt, erteilt, wie meist geschichtlich überdauernd Terminologien, einen Bescheid über die Form, der um so schwerer wiegt, als er nicht programmatisch sondern als Charakteristik der tastenden Intention erfolgt.“ Im Wien von heute hieße das verkürzt aber hochfrisiert: „Bam, Oida!“

Ein anderer Leitsatz des vorliegenden Kompendiums muss Egon Friedell entwendet werden. In der „Kulturgeschichte der Neuzeit“ gibt er einen Fahrplan aus, an dessen Takt ich mich gehalten habe. Möglichste Unvollständigkeit war überall angestrebt. Wien kann immer nur unvollständig gesehen werden. Die Anekdote, so Friedell, sei in jederlei Sinn die einzig berechtigte Kunstform der Kulturgeschichtsschreibung.

Meine eigenen Versuche intentionalen Tastens hatten schon bisher oft auf das Objekt dieses Buches fokussiert: Wien. Alle Essays und Kolumnen zur Stadt und seinen Eigentümlichkeiten erschöpfen sich im Ergebnis, diese Verhältnisse in Hinblick auf das Unvollständige auszuloten.

Ich habe versucht, die Stadt, an der ich leide, die mich auslebt und bearbeitet, in essayistischer Form zu fassen. Der Versuch trägt das Scheitern in sich. Und ein Buch über Wien kann immer nur ein Buch über das Scheitern an Wien sein. Der Weg in das Dickicht dieser Erkenntnis führt indes ins Undurchdringliche selbst. Wien ist jener Teig, hinter dessen Konsum kein Schlaraffenland liegt, sondern nur neuer Teig. Und paradox: Wien wird unsichtbar, ja geradezu unwienerisch, sobald man zum Inneren vordringt. Das Phänomen ist bekannt, Warnungen verhallen ungehört.

Nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit der Stadt, in die ich geboren wurde, in der ich mit Abwechslungen aufwuchs und in die ich Wege und Gassen einer Biographie schlug, kenne ich mich weniger aus denn je. Vielleicht war ich zum Zeitpunkt meiner Geburt die echteste Wienerin der Geschichte, um dann schlicht und schlecht zu verunwienern.

Man erwarte sich nicht zu viel von meinen Beobachtungen, davon aber im Übermaß. Dieses Buch erzählt vom Scheitern. Das Scheitern im Beckettschen Sinne. Es könnte eine Betriebsanleitung für Wien sein:

Alles seit je.
Nie was anderes.
Immer versucht.
Immer gescheitert.
Einerlei.
Wieder versuchen.
Wieder scheitern.
Besser scheitern.

Samuel Beckett, Wiener des Herzens

Andrea Maria Dusl, Jänner 2016