Comandantina und der Stern

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 14/2018 zum 4.4.2018.

Liebe Frau Andrea,
auf ihrer Homepage „Comandantina“ habe ich Ihr persönliches Symbol entdeckt, einen roten Stern. Zelebrieren und verharmlosen Sie hier überkommene und verkommene Ideologien?
Verwirrt, Dr. Ernst Hillarius Fröhlich, per Twitter-Direktnachricht

Lieber Dottore,

Symbole und Zeichen, aber auch Namen und Begriffe sind dem Gezeitenspiel der Bedeutungen unterworfen. Mal gehen sie unter, mal werden sie an Land geschwemmt, mal als Strandgut aufgelesen. Ich darf im folgenden die sehr persönlichen und kontingenten Ideengeschichten zu „Comandantina“ und dem „Stern“ berichten. Die Knappheit der Erläuterungen ist dem Platz geschuldet.

Der pseudonymisch mobilisierte Künstlername „Comandantina“ enstand im Februar 1997 in Havanna, Kuba. Die Begegnung mit der Geschichte Kubas hielt für das revolutionäre Personal der Insel den Kampfnamen „Comandante“ in ehrender Schwebe. Frauen waren allerdings keine Comandantes und wenn, wären sie als Comandanta bezeichnet worden. In satirischer Aufweichung des Begriffs habe ich die Endsilbe Tina dazugestellt, extrahiert aus „Tina Turner“, und erinnerlich aus Namen wie Bettina, Christina und Martina, wie Agostina, Albertina und Clementina, wie Costantina, Giustina und Valentina. Comandantina antwortete aber auch feministisch auf Titel wie Commendatore, Conte und Cavaliere.

Der rote Stern ist kein kommunistischer, wie mir Chefredakteure führender Boulevardmedien schon unterstellten, sondern der Flammende Stern der Freimaurer (die Venus in ihrem fünffältigen Lauf), tingiert in meiner Lieblingsfarbe rot, und ergänzt um die brennende Fackel der Aufklärung, einen Olivenzweig für die Friedlichkeit meiner Mittel und meinen Klarnamen für die Lauterkeit meiner Absichten. Das Spruchband ist mottolos, weil Texte immer wieder neu gefasst werden wollen. Aber der Stern!, fauchen die Chefredakeure führender Boulevardmedien trotz all dieser Erläuerungen. Und dann machen sie Urlaub unter der Flagge Kalifoniens, trinken Mineralwasser der Marke San Pellegrino und Bier von Heineken. Und wenn man sie genau befragt, geben sie womöglich zu, dass sie sich schon für eine Wohnung in der Rotensterngasse interessiert haben.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Seltsamer Traum

Seltsamer Traum. In einem Hotel in der Provinz begegneten einander Madonna (Louise Ciccone) und ich. Vor einem Auftritt. Es ergab sich eine Melange aus Seelenverwandtschaft, Bewunderung des jeweilig Fremden und manifester körperlicher Anziehung. Es barg alle Verstörungen einer Affäre. Sehr seltsam. Weder höre ich Madonna noch tat ich das je absichtlich. (In Aussertraumland.) Undeutlich war das Setting in einer Art oberösterreichisiertem Kärnten verortet. Eine der Kellnerinnen des Hotels erzählte, sie sei in ihrer Jugend schreibend für den Residenzverlag tätig gewesen. Madonna war in mich verknallt, dies aber sehr verhalten, von gespielten Gleichgültigkeiten durchmischt. Sie sprach ausgezeichnet Deutsch, verbarg dies aber vor ihrem Personal.

AMD, FB 23. Januar 2018 12:04

Schmetterlinge, Schmauch, Sofa

Vorwort zu meinem nächsten Buch: „Wien wirklich“, (Metroverlag, Herbst 2017):

Im Dezember 1971 fasste der Weltgeist prägende Bestandteile meines Daseins in gleichzeitig Geschehendem zusammen. Keinen der Akteure habe ich jemals persönlich kennengelernt. Und auch der Ort der Handlungen will noch von mir erforscht werden: Montreux am Schweizer Lac Leman. Dort spielte ein gewisser Ritchie Blackmore, nervöser Gitarrist der englischen Rockgruppe Deep Purple, das Riff zur Hymne des Jahrhunderts ein: „Smoke on the Water“. Mit dem Rolling Stones Mobile Truck, einem fahrbaren Aufnahmestudio – im legendären Kleintheater „Pavillon“. Der Rest des Albums wurde in den Gängen und Treppenhäusern des leerstehenden Montreux Grand Hotels aufgenommen. Hinter Matratzenwänden, in der hallenden Leere vergangener Glorie. Die beiden Locations dienten als Ausweichquartiere, nachdem das ursprünglich für die Schallplatten-Aufnahmen angemietete Casino Montreux während eines Frank-Zappa-Konzerts von der Leuchtpistole eines Schweizer Fans abgefackelt worden war. Der Arbeitstitel für die epochale Tonfolge war „Title nº1“, nach anderen Quellen schlicht „Drrr Drrr Drrr“. Die Inspiration der einzigen Melodiefolge, die selbst Unbegabte auf einer Gitarre zu intonieren sich erlauben, will Ritchie Blackmore dem Anfangsmotiv von Beethovens 5ter extrahiert haben. Der Text des Songs bezieht sich auf den erwähnten Brand des Casinos am 4. Dezember 1971. Den Titel „Smoke on the Water“ soll Deep-Purple-Bassist Roger Glover ein paar Tage später im Traum erfahren haben.

Die akustischen und optischen Echos der geschilderten Vorkommnisse wurden von dritter Seite mit kritischem Unbehagen wahrgenommen. Auf der Terrasse seiner Suite im Montreux Palace Hotel stand der große Petersburger Vladimir Nabokov. Was er hörte, gefiel ihm nicht. Laute Rockmusik anglosächsischer Proletarier (Nabokov hielt den Lärm für „Jazz“), von den frühen Winterwinden durch den mondänen Ort und über den See getragen. Auch was er sah, muss den scheuen Autor irritiert haben: Feuer, Rauch, Langhaarige, Panik. Chaos im Panorama der Nabokovschen Ordnung.

Es ist nicht bekannt, ob die drei erwähnten Protagonisten der geschilderten Vorkommnisse einander am Ort des Geschehens begegnet sind. Ich jedenfalls saß in der ersten Klasse des Gymnasiums in der Wiener Wasagasse und träumte den vergangenen Sommer nach. Fern der Geschehnisse in Montreux war ich diesen doch ganz nah. Und mehr noch ihrem Personal: Dem aristokratischen Gestus des Schmetterlingsfängers Nabokov, der kritischen Pedanterie des Bürgerschrecks und Welt-Tschuschen Frank Zappa und der entrückten Manie des Rockproleten Ritchie Blackmore. Wie gut kannte ich deren Befindlichkeiten und Beweggründe aus meiner eigenen Familie! Dieses explosive Gemisch aus Kunst und Krach, Schreiben und Schweigen. Wie der dauerentwurzelte Nabokov war ich mit dem Botanisieren schöner Fluginsekten infiziert worden. Und mit dem Aufschreiben von Erfundenem. Wie Franz Zappa suchte ich die Dämonen der Bürgerlichkeit mit satirischer Anarchie zu bekämpfen, wie Ritchie Blackmore verlor ich mich im Handwerk des Gitarrespielens und in den Arabesken der Melancholie.

Der vorliegende Band handelt von Gleichzeitigkeiten und will nicht mehr sein als eine Botanisiertrommel, in der ich schillernde Schmetterlinge gesammelt habe und auch den einen oder anderen Käfer. Wiener Schmetterlinge und Wiener Käfer. Vieles in der Wiese Wien will noch gefunden werden und auch die Frage nach der Legitimität des Botanisierens darf gestellt werden. Hier kann Frank Zappa antworten, dessen Musik das Schreiben dieser Sammlung begleitet hat: „You are what you is.“

Oder genauer:

„Ich bin der Himmel
Ich bin das Wasser
Ich bin der Dreck unter deinen Walzen
Ich bin dein geheimer Schmutz
Und verlorenes Metallgeld
(Metallgeld)
unter deiner Ritze
Ich bin in deinen Ritzen und Schlitzen
Ich bin Wolken
Ich bin die Stick[erei]
Ich bin der Autor aller Felgen
Und Damast-Paspeln
Ich bin der Chrome-Dinette
Ich bin der Chrome-Dinette
Ich bin Eier aller Arten
Ich bin alle Tage und Nächte
Ich bin alle Tage und Nächte
Ich bin hier 
Und du bist mein Sofa!
Ich bin hier 
Und du bist mein Sofa!
Ich bin hier 
Und du bist mein Sofa!“

Frank Zappa & The Mothers
The Sofa Suite (Live at Montreux Casino, 4th December 1971)

La Stellvertretende Bildungsreferentin

Freundschaft! Ich wurde heute (17.12.2016) bei der Wahl der Konferenz der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund zur „Stellvertretenden Bildungsreferentin“ gewählt. Ein kleiner Schritt für die Sozialdemokratie, ein großer Schritt für die Comandantina! Ich blicke auf eine Zustimmung von hundert Prozent. Danke an Thomas Kvicala für das Lichtbild!

Tee mit Leibniz

Gmunden ist eine Kleinstadt in Oberösterreich, es ist, wenn man so will, das Genf des Salzkammerguts. Gmunden unterschiede sich trotz seiner splendiden Lage am schönen Traunsee nicht weiter von Nestern seines Kalibers, wäre es nicht auch das Exil der Exkönige von England.

Die Exkönige von Hannover, von Großbritannien und von Irland, Herzöge von Braunschweig und Lüneburg und Dukes of Cumberland sind dem deutschen Publikum unter ihrem Familiennamen „Welfen“ bekannt und leben seit ihrer Exilierung aus dem British Empire, von der Yellowpress relativ unbeachtet, in dem verträumten Städtchen am Traunsee. Als Buckingham Palace von Gmunden diente ihnen ab 1866 die komfortable „Villa Cumberland“, heute tut es auch die etwas bescheidenere „Cöniginvilla“.

In der Gmundner Cöniginvilla ging mein Freund Conrad ein und aus. Das war in den 1960ern. Conrad war mit den Royal Highnesses, den Herzögen von Hannover, befreundet, ja, er war schon fast so was wie ein Teil der Familie geworden, und er unterrichtete die Sprösse des Hauses, die beiden Welfenherzöge Ernst August und seinen jüngeren Bruder Ludwig Ernst, in der Sprache Voltaires. Erster sollte später als „Haugust“ und Ehemann der monegassischen Prinzessin bekannt werden.

Weil nun die Welfen einerseits exilierte Könige von Hannover, andererseits aber legitime Exilregenten von England waren, kam es bisweilen zu schizophrenen Situationen. Die Ironie des Familienschicksals ließ es nicht zu, bei Fußballmatches Deutschland gegen England eine der beiden Mannschaften gegenüber der anderen zu favorisieren. Bei Deutschland-England jubelten die Welfen also bei jedem Tor, völlig unabhängig davon, welche Mannschaft es gerade erzielt hatte.

In der Cöniginvilla trank man traditionell „Calenberg-Tea“, ein Getränk, das Herzogin Ortrud, eine geborene Prinzessin zu Schleswig-Holstein-Glücksburg-Sonderburg, kreiert hatte und das auch Gästen gerne und oft gereicht wurde. Calenberg-Tea war aber kein Tee, sondern unverdünnter Whiskey aus dem Supermarkt, der aus Gründen der Etikette in feinem Teeporzellan und stets und ausschließlich zur Teatime serviert wurde.

Fünf Uhr hieß bei den Hannovers deshalb auch schlicht und einfach „Calenberg-Time“. Schlag fünf unterbrach der alte Welfenherzog Ernst August, was immer er auch gerade tat, und näselte mit durstiger Stimme: “It is Calenberg time!“ 

An einem dieser Nachmittage saß mein Freund Conrad mit den königlichen Hoheiten zu Teetische. Man sprach über dies und sprach über das, und irgendwann bekam die Konversation eine naturwissenschaftliche Färbung. Man plauderte erst über Äpfel, dann über Newton, und während man ausgiebig am Calenberg-Tea nippte, griff jemand nach einem Keks, und es kam die Rede auf Gottfried Wilhelm Leibniz.

Und als der Name des deutschen Philosophen fiel, guckte der kleine Herzog Ludwig Ernst, gerade mal acht Jahre alt, von seiner Tasse Calenberg-Tea auf und hauchte altklug: „Leibniz, hat der nich auch mal für uns gearbeitet?“

Aus: Andrea Maria Dusl: Fragen Sie Frau Andrea, Falterverlag, 2003, pagg. 181f.