Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 26/2025 vom 25. Juni 2025
Liebe Frau Andrea,
es ist nicht die Etymologie, die mich zu Ihnen drängt, sondern ein neuer Nachbar. Wie es sich herausstellt, scheint es so, als wäre Martin Sellner samt Familie in meine unmittelbare Nachbarschaft nach Baden remigriert. Nun freut es mich durchaus, dass er sich an der autochthonen Luft erfreut, jedoch bin ich mir unsicher, wie ich mich im Falle einer Müllplatzbegegnung verhalten soll. Vor allem, welcher Gruß hier angebracht wäre.
Wäre hier ein neutrales Kopfnicken ratsam, oder könnte dies – man wagt es kaum zu denken – bereits als ein klandestines Signum zur Wiedergewinnung des Abendlandes ausgelegt werden? Vielleicht ein unverfängliches „Grüß Gott“, das mit feiner Ambivalenz darauf verweist, dass höhere Mächte für alles ihre Pläne haben mögen? Oder aber ein schlichtes „Hallo“, was mir jedoch schon beinahe globalistisch erscheint und womöglich Zweifel an meiner eigenen Verwurzelung wecken könnte?
Bitte helfen Sie mir durch diesen nachbarschaftlichen Gruß-Dschungel, bevor ich noch versehentlich Teil einer großen Erzählung werde.
Herzlich unsichere Grüße,
Gotthold Zauder, per Email
Lieber Gotthold,
bei allen Höflichkeitsbekundungen im öffentlichen Raum taumeln wir durch unsicheres Terrain. Dürfen Prominente von Nichtprominenten durch Gruß inkommodiert werden? Wie verhält sich dies bei Zeitgenossen zweifelhafter Prominenz? Soll man Freundlichkeit durch Barschheit ersetzen? Durch Ignoranz? Polemische Untertöne anklingen lassen? Satire bemühen? Zynismus gar?
Falls Sie zu Grußworten neigen, seien ein paar erprobte Formeln empfohlen. Werfen Sie dem Identitären ein unverfängliches „Willkommen Fremder!“ entgegen, ein krocherisch-spätjugendliches „Bam, Oida!“, oder die sozialdemokratische Segensformel „Fröndschafd!“ Appellieren Sie an Fremdsprachenkenntnisse mit einem britisch gehauchten: „“Honi soit qui mal y pense“ (ein Schelm, der Böses dabei denkt). Nicken Sie wie Kaiser Ferdinand 1848 und fragen Sellnern schönbrunnerdeutsch „Ja dürfen’s denn des?“
Im Falle galoppierenden Übermuts kann es dienlich sein, Ihrer allfälligen Begleitung unüberhörbar zuzuraunen: „Schau, der Gudenus!“