Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 46/2024 vom 13. November 2024
Liebe Frau Andrea,
als eine vor 35 Jahren aus den Bundesländern zugezogene und seit 10 Jahren in Döbling lebende Wienerin beschäftigt mich schon fast ebenso lange die Herkunft und Bedeutung des Begriffes „Gspritzter“ (als Bezeichnung einer Person). Ich habe ab und zu gebürtige Wiener gefragt, leider bis jetzt aber noch keine befriedigende Antwort erhalten.
Liebe Grüße
Katja Trovato, Döbling, per Email
Liebe Katja,
wir alle kennen das beliebte Wiener Sommergetränk, den „Gspritzten“, der seinen Namen von der sehr einfachen Zubereitung hat, bei der ein Achterl Weißwein mit Sodawasser aus dem Zapfhahn (oder der heimischen Sodawasserflasche) „aufgespritzt“ wird. Altbürgermeister Häupl nannte sein Lieblingsgetränk „Spritzwein“, Deutsche kennen den „Spritzer“ als „Schorle“ (präzise: „Weinschorle“). Vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verstand man im Kaffeehaus unter dem „Gspritzen“ auch den Muntermacher Mokka mit einem Schuß Cognac, Rum oder Weinbrand. Aus der Gesamtheit der alkoholisierenden Wirkungen dieser Spritzgetränke kommen die Invektive eingspritzt (angeheitert, beschwipst, aber auch dumm und blöd), Eingspritzter und Gspritzter (Betrunkener und Alkoholisierter, in Unkenntnis der Konsumationsform aber auch Haschischraucher).
Hinter der Tabuschranke des Sexuellen hat unser Ausdruck noch andere Bedeutungen. So kennt die Sprachforschung die Bezeichnung „angespritzt“ für die entjungferte, geschwängerte junge Frau. Homosexuelle wurden im (bösen) alten Wien wenig elegant ebenfalls als „Gspritzte“ bezeichnet, indem ihnen der Ejakulationsvorgang des Partners als Beischlafneigung zugesprochen wurde. Daraus scheinen nicht nur die schimpfwörterlich gebrauchten Nebenbedeutungen unecht (und kontriert, wie im Kartenspiel) zu kommen, sondern auch die Invektive Snob, Angeber, Aufgeplusterter.
Gänzlich anderes, wenn auch nicht weniger böses Gewicht hatte die antisemitische Bezeichnung „Gspritzer“ für getaufte Juden, die beim Taufsakrament mit dem Weihwasser-Sprengwedel des katholischen Pfarrers „bespritzt“ worden waren.
Oi weh!