Nationalheiligtümer

Ein Staat, der auf sich hält hat Wappen, Fahne und Hymne. Und einen Nationalfeiertag. Die Schweiz erinnert sich an ihrem an den Rütlischwur von 1291, Deutschland an seinem an die Einheit von Wessis und Ossis. In Tschechien wird der Unabhängigkeit (von uns) gedacht, in der Slowakei jener von Tschechien. Ungarn memoriert den Heiligen Stephan, die Revolution und den Volksaufstand, Slowenien feiert die Unabhängkeit von Jugo, Italien die Gründung der Republik, und Liechtenstein stimmt sich national am Tag vor dem Geburstag des 1989 verstorbenen Fürsten Franz Josef II.

Bis in die Blütezeit der Boomer-Generation hatte das moderne Östereich zwar viel zu feiern, viel zu erinnern, aber noch mehr zu vergessen, und vielleicht deshalb keinen Nationalfeiertag. 1965 schickten sich Parlament und Bundesregierung an, einen solchen zu bestimmen. Zur Auswahl standen der 12. November (die Ausrufung der Ersten Republik 1918), der 27. April (die Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs durch SPÖ, ÖVP und KPÖ im Jahr 1945), und der 15. Mai (die Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955).

Als Kompromiss wurde ein gänzlich anderer Anlass gefunden und in Gesetzesform gegossen. Fortan galt der 26. Oktober als Nationalfeiertag, eingedenk der am 26. Oktober 1955 beschlossenen immerwährenden Neutralität Österreichs.

Im Bewusstsein der Bevölkerung zirkulieren für die Wahl des Datums dennoch andere Anlässe: Der Abzug des letzten Besatzungssoldaten, Legendenkanzler Figls Unterschrift unter den Staatsvertrag, und die Erstausstrahlung der „Zeit im Bild“.

Tu felix Austria.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 26. Oktober 2024.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert