Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 43/2023 zum 25. Oktober 2023
Liebe Frau Andrea,
auf dem Weg zum Kindergarten hüpfen, laufen, tanzen, springen mein 4jähriger Enkel und ich über viele Pflastersteine. „Pflastersteine“, sagt der Kleine, „die heißen sicher so, weil man ein Pflaster braucht, wenn man hinfällt!“ Ich finde, das ist eine sehr schlüssige Erklärung, aber ist sie auch richtig? Bitte klären Sie mich auf!
Liebe Grüße,
Susanne Jungnikl, von meinem iPhone gesendet
Liebe Susanne,
die spontane Begriffsdeutung Ihres Enkels ist ein typischen Beispiel für eine sogenannte Kindesetymologie. Den Versuch von Kindern, sich die Bedeutung komplexer Wörter selbst zu erklären beschrieb erstmals das differenzial- und enwicklungspsychologisch forschende Paar Clara und William Stern. Sowohl korrekte als auch misslungene Deutungen kämen dabei zustande. Den Beginn solcher Bemühungen setzten Stern und Stern für das späte dritte und das vierte Lebensjahr an. In ihrer psychologisch und sprachtheoretischen Untersuchung „Die Kindersprache“, 1907 erschienen, geben sie Beispiele für solche Deutungen. Der „Ozean“, meint ein von Stern und Stern zitiertes Kind, hieße so, „weil man doch manchmal, wen man ihn sieht [staunend], oh! oh!“ sage. Ein „Erkerzimmer, so ein anderes, in der Arbeit angeführtes Kind, sei „wo man sich drin ärgert.“
Wie hängen nun das Pflaster auf dem wir gehen, laufen und vielleicht hinfallen mit dem Pflaster zusammen, das eine Schürfwunde versorgt? Pflaster, althochdeutsch pflastar wurde in beiden Bedeutungen schon früh entlehnt aus lateinisch emplastrum (Wundpflaster und übertragen Bindemittel für Steinbau), war doch in alter Zeit das Pflaster mehr Aufgestrichenes als Aufgeklebtes. Das lateinische emplastrum wiederum kommt vom griechischen emplastron gleicher Bedeutung (zu emplässein „aufschmieren“, einer Ableitung von griechisch plässein „aus weicher Masse formen, bilden, gestalten“). Wir sehen hie auch die Verwandschaft zu plastisch, Plastik.
Dazu plassend, äh passend Anekdotisches: Als ich selbst ein Kind war, war ich sicher, die marmorhellen Statuen im Kunsthistorischen Museum hießen „Plastik“, weil sie so „plas“ (blass) waren.
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Liebe Frau Andrea!
Falls diese „marmorhellen“ Statuen tatsächlich aus Marmor waren, wie ich vermute, waren es wohl eher Skulpturen als Plastiken. Natürlich wird das im Umgangssprachlichen selten streng unterschieden, aber in einer so interessanten SprachKolumne, in der eine Comandantina Auskunft gibt, sollte diese korrekt sein.
Mit herzlichen Grüßen
Hanna Halenka,
Sprach(en)fan in Bad Fischau
Sehr geehrter Frau Halenka,
vielen Dank für Ihre Kritik!
Darf ich bei dieser Gelegenheit fragen,
in welchem akademischen Feld Sie arbeiten?
Beste Grüße,
Dr. Andrea Maria Dusl
Liebe Frau Andrea!
Danke für Ihre liebe Anerkennung!
Da ich 73+ und seit rund 10 Jahren aus der EW-Bildung für DaF/DaZ, dann für D-Vorbereitung für BRP bin + außer WhatsApp für viele, Signal für meinen Sohn + Telegram für meine ukrainischen Schützlinge nur Mail+SMS beherrsche, bitte ich Sie, meine Info zu verwenden wo/wie Sie wollen. Ich hab in Blogs keine Erfahrung + keinen Ehrgeiz. Allerdings bin ich leidenschaftliche wiz-Einsenderin und hab schon eine nette kleine Bibliothek damit gewonnen. Ich lese VWA bis Diss und Bücher, mit Leidenschaft Korrektur, vor allem in sprachlicher Hinsicht, und „wir“ sind meist sehr erfolgreich. Meine Sprachsensibilität ist irgendwie durch vieles Lesen seit meiner Kindheit immer schärfer geworden, was nicht nur angenehm ist. Nie werde ich das Ö1-Journal vergessen, in dem einer aus der Schwarz-Braunblau-Regierung verkündet hat, welches Deutsch-Level hier leben wollende Migranten zu erreichen hätten. Und das – als Muttersprachler! – in gar nicht perfektem Deutsch. Damals war ich ÖSD-zertifizierte Prüferin für Integration/Staatsbürgerschaft, und es stellten sich mir die Haare auf vor Zorn über dieses besonders zynische Unvermögen. Ach, ja, darauf bin ich stolz: Ich fand damals eine Gesetzes-(oder Verordnungs-?)Lücke, die es vielen schon lang im Land lebenden, hier schwer arbeitenden und in Österreich Steuern zahlenden Immigranten ermöglichte, ohne teure Kurse, für die sie gar keine Zeit gehabt hätten, positiv abzuschneiden. Mit der stillschweigenden Unterstützung meines Chefs, der ewig lang kein Aufnahmegerät zur Verfügung stellen „konnte“, das dann auch immer wieder „ausfiel“ – ein Montagsgerät eben 🤫 Als ich nach einem Jahr zufällig eine Prüfungsstatistik in die Hände bekam, stellte ich fest, dass mein Kollege und ich 25% der Prüfungen von ganz Österreich abgenommen hatten! Das ist keinem aufgefallen und die Welt dreht sich immer noch. Allerdings drohen die Rechten, wieder an die Macht zu kommen, wovor mir sehr graut. Oder glauben Sie, wir sind so vernünftig wie die Polen dann doch noch?
Auf WhatsApp betreibe ich immer wieder launig privat „Sprachbildung“ anhand skurriler oder dummer Beispiele aus dem Alltag, die meist übersehen werden, g.u., oder „Politik“ gegen Alles-Beurteiler in meinem Kontaktumfeld. Ich hab schon einige Blockierungen geerntet + bin ein bisschen stolz drauf, weil ich ganz gern provoziere, wenn es für Gutes und/oder Gescheites, nötig scheint s.u.
Ich mag Ihre Beiträge in den „SN“, die ich, neben „meinem“ Standard am WE abwechselnd mit der Presse abonniert habe, weil ich nämlich ein breites Meinungsspektrum möchte. Also bleiben auch Sie weiter kritisch!
Mit herzlichen Grüßen
Hanna Halenka