Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 42/2023 zum 18. Oktober 2023
Liebe Frau Andrea,
Kim Jong Un wird in den österreichischen Medien häufig als Diktator, Vladimir Putin als Präsident und Xi Jinping als Staatschef bezeichnet. Wie unterscheiden Journalisten mit welchen „Berufstiteln“ totalitäre Machthaber in den Medien bezeichnet werden? Sprache schafft ja bekanntlich Wirklichkeit.
Mit besten Grüßen,
Moritz Huemer aus Wien, per Email
Lieber Alfred,
wie der verdiente Zitatforscher Gerald Krieghofer berichtet, wird der Aphorismus, nach dem Sprache Wirklichkeit schaffe, fälschlich dem Philosophen Ludwig Wittgenstein zugeschrieben, in seinen Texten ist er so nicht zu finden. Mit der gleichen Dringlichkeit, mit der „Sprache Wirklichkeit schafft“, schafft Wirklichkeit Sprache. Die Frage nach der publizistischen Berufsbenennungskultur ist nicht entgültig und auch nicht sauber zu beantworten. Kommt es doch darauf an, wer wann wo für welches Publikum ausgesuchte Teilnehmer am Weltgeschehen benennt. Eine radikale Glosse in einem Samisdat hat andere politische Tonalität als die Herausgeber-Kolumne in einem großen Boulevard-Dampfer oder die Kurznachricht einer seriöselnden Presseagentur.
Kim Jong Un ist „Oberster Führer“, „Großer Nachfolger“ und „Präsident für Staatsangelegenheiten“, zusammengefasst „Großartiger Nachfolger und Führer von Partei, Armee und Volk“. Verständlicherweise verkürzt das der Westen zum Berufstitel „Diktator“. Kims neuer Freund hält es schlichter. Der russische Momentan-Zar Wladimir Wladimirowitsch Putin will offiziell nicht mehr sein als „Präsident der Russischen Föderation“. Staatschef und Autokrat ist er dennoch. Wie sein Kollege Xi Jinping, „Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas“, „Vorsitzender der Zentralen Militärkommission“ und „Staatspräsident der Volksrepublik China“. Er gilt aufgrund seiner Machtfülle als der „Überragende Führer“ (chinesisch Zuìgāo Lǐngdǎorén, englisch Paramount Leader).
Wie halten wir es in Österreich? Mit der qualtingerhaften Frage natürlich, ob man zu einem beliebigen Bundeskanzler Trottel sagen darf. Selbstverständlich nicht, sagen die Experten. Zu einem Trottel Bundeskanzler zu sagen, sei indes nicht verboten.
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