Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 40/2023 zum 4. Oktober 2023
Liebe Andrea,
wir sitzen gerade beide im schönen Grado bei einem Hafen-Cappuccino und plötzlich erwächst in mir die Frage, ob die imposanten gelben Jugendstil-Villen drüben am Strand nach dem Rennräder-Konzern Bianchi, immerhin eine nationale Institution, benannt sind. Angesichts der Fahrrad-Konjunktur unter den Grado-Touristen eine begreifliche Assoziatiation. Was meinen Sie?
Gesprächsweise
Maria Capassi-Forgiarini, Wien Leopoldstadt, zur Zeit Grado
Liebe Maria,
die „Fabbrica Italiana Velocipedi Edoardo Bianchi“, kurz „Bianchi“ genannt, ist die älteste noch existierende Fahrradfabrik der Welt. Einst auch ein bedeutender italienischer Automobil- und Motorradhersteller wurde sie 1885 von Mailänder Waisenkind Edoardo Bianchi (1865-1945) als kleine mechanische Werkstatt zur Reparatur und Bau von Fahrrädern gegründet. Bianchis mechanisches Talent schlug sich im galoppierenden Wachstum seines Unternehmens nieder. Mit den Villen in Grado hat er indes nichts zu tun.
Anders Freiherr Leonhard Friedrich Ferdinand Alexander Freiherr von Bianchi, am 12. April 1846 in Venedig in eine altösterreichische-Adelsfamilie geboren. Im Jahr 1899 erwarb er auf der sonnigen Laguneninsel in der nördlichen Adria ein Strand-Grundstück abseits der frühmittelalterlichen Altstadt. Dem Zeitgeist verpflichtet setzte er auf die Konjunktur des Badetourismus, fokussiert auf eine wohlhabende Schicht aus Großbürgern und Künstlern, ihren Familien und Entouragen. Die ersten beiden Villen mit den Namen „Marina“ (Hafen) und „Adria“ wurden im Jahr 1900 errichtet, das Haupthaus „Stella Maris“ (Stern des Meeres) und die Villa „Onda“ (Welle) im Jahr 1901, und die letzte, die Villa „Spiaggia“ (Strand), im Jahr 1902. Die Familie des Barons Bianchi zog nun von Görz nach Grado.
Dass der Baron, seine Familie und die Gäste der fünf Villen den sommerlichen Gradeser Corso auch auf Fahrrädern der Firma Bianchi befuhren, ist nicht unwahrscheinlich. Die Namensgleichheit war wohl schon zur Jahrundertwende allfälliges Thema auf den Frühstücksterrassen der Sommer-Urlauber.
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