Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 6. Mai 2023.
„Beim Reden kommen die Leut zamm“, lautet eine alte österreichische Weisheit, sie will uns bedeuten, dass wir im Dialog zueinander fänden, im Diskurs näher rückten, das Trennende gegen das Gemeinsame tauschten. Jederzeit, und überall. Wie alles im österreichischen Wirklichkeits-Universum wird der Spruch gründlich missverstanden, bedeutet er doch etwas ganz anderes. „Beim Reden kommen die Leute zusammmen“ erzählt uns nicht die holde Mär vom Austausch freundlicher und verbindender Gedanken, ganz im Gegenteil, der Spruch stellt fest, dass wo immer, wann immer es Unmut gibt, Hader, Händel, ein „Gschraa“ also, noch andere, Neubeteiligte dazukämen. Streit bringt die Leute zusammen, euphemistisch „Reden“ genannt. Nun mag es ab und an tatsächlich zu gütlichen Einigungen kommen, möglicherweise sogar am Gartenzaun, am Autofenster, an der Beschwerde-Budel, in der Regel aber geht es um Unlösbares, will heißen: Österreichisches. Schuldige sind bald gefunden, am besten Außenstehende, die Regierung, die Opposition, das Ausland, die Flüchtlinge, die Linken, die Rechten, die Schwurbler, die Impfschafe, die Gscheaden aus der Stadt, die Gscheaden vom Land, und eventuell sogar – Selbstverzwergung und masochistische Eigenbeschädigung nicht ausgeschlossen: Mia, wir.
Sobald die Schuldigen ausgemacht wurden, beruhigt sich die Lage. Das Problem wurde durch milieubedingte Unmutsäußerungen gebannt und gewürdigt, das Thema kann gewechselt werden, die Zusammengekommenen auseinander gehen. Das Reden ist beendet. Bis die nächste Problemsau durchs Dorf getrieben wird.