Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 39/2022 zum 28. September 2022
Liebe Frau Andrea,
im Nachklang zu einer der Aufnahmen unseres Psychotherapie-Podcasts „Auf der Couch“ kamen wir auf die Geschichte der Psychiatrie in Wien zu sprechen. Zwei Fragen sind dazu aufgetaucht, die außerhalb unserer Expertinnen-Zone liegen. Wir bitten daher um ein etymologisches Konsil: 1) Hat der „Bahö“ etwas mit der Baumgartner Höhe zu tun, vulgo „Stahof“? 2) Wieso heißt die Psychiatrie im Wienerischen auch „Guglhupf“?
Besten Dank, Berni Kommenda und Kathi Henz, Währing, per Email
Liebe Kathi, lieber Berni,
das weltweit erste Spezialgebäude zur Unterbringung von Geisteskranken wurde 1784 in Wien erbaut und wegen seiner Form im Volksmund nach dem beliebten Sturzkuchen „Guglhupf“ benannt. Seit jeher galten die Namen der
psychiatrischen Anstalten Wiens als Codes für die dort behandelten Krankheiten. Man spricht und sprach von Gugging (der ehemaligen Landesnervenheilanstalt im Wienerwald) und vom „Staahof“ (Steinhof), synonym mit der Baumgartner Höhe. Die Einrichtung war bei der Eröffnung 1907 das größte und modernste psychiatrische Krankenhaus Europas. In Poetisierung der weithin sichtbaren goldgelben Kuppel der Otto-Wagner-Kirche am Steinhof hieß die Örtlichkeit im Wienerischen auch „Limoniberg“ oder „Zwiebelparlament“. Derbere Ausdrücke finden wir in der Bezeichnung „Gschudsd-Kanti“ (von gschutzt, dumm, und rotwelsch kanti, Haus, das seinerseits vom spanischen cantina kommt), im „Noanheisl“ (Narrenhaus), der „Gummihittn“ (Gummihütte) oder schlicht der „Bsüch“ (Psychiatrie). Als „Antabus-Hittn“ firmierte das Therapiezentrum Anton-Proksch-Institut, als es noch „Stiftung Genesungsheim Kalksburg“ oder kurz „Trinkerheilstätte Kalksburg“ hieß. Antabus ist der Handelsname des Arzneistoffes Disulfiram, ein Medikament zur Unterstützung der Abstinenz bei Alkoholabhängigkeit.
Der Bahö (Krawall, Wirbel, Lärm) hat nichts mit der BAumgarntner HÖhe zu tun, kommt er doch über Bahöl vom mittelhochdeutschen behellen, etwas übertönen, und dieses vom althochdeutschen hellan, tönen. Es steckt in unserem Verb holen, das wie das englische „call“ ursprünglich herbeirufen bedeutete.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina
Sehr geehrte Frau Andrea,
ergänzend zu Ihrem Artikel möchte ich Bastian Sick (Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Bd. 6 Seite 577) zitieren, der im Kapitel über Jiddische Ausdrücke im Deutschen BUHEI bzw. BOHEI, was ja unserem BAHÖ sehr ähnlich klingt, mit der Bedeutung „viel Aufsehen, viel Lärm (um nichts)“ auf „möglicherweise jiddisch BEHELO = Schreck“ zurückführt.
Vielleicht erfahren wir die endgültige Lösung am 2. November in der SARGFABRIK, beim Konzert der wunderbaren MADAME BAHEUX!
Mit besten Grüßen,
Oskar Karas
Lieber Herr Karas,
vielen Dank für Ihre erhellende Zusatzerkenntnisse. Die Wahrscheinlichkeit dass Sicks „Behelo“ in einer Bedeutung „Schreck“ vom selben mittelhochdeutschen behellen, etwas übertönen kommt, ist hoch. Ist doch das Jiddische eine aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangene westgermanische Sprache.
Besten Grüße,
Andrea Maria Dusl