Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 36/2022 zum 7. September 2022
Liebe Frau Andrea,
unlängst sagte meine Wiener Freundin zu mir, als ich sie daran erinnerte, dass wir zu spät kommen werden: „Das ist mir so was von powidl!“ Aber auch aus meiner Kindheit meine ich mich zu erinnern, dass ab und an der Satz „bist du total powidl?“ fiel, im Sinne von „bist du deppert“. Irre ich mich da? Woher kommt dieser Ausdruck? Schließlich habe ich als Köchin eine sehr eingeschränkte Vorstellung, was Powidl bedeutet. Oder ist die Bedeutung von powidl was völlig anderes? Ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie mein Unwissen zumindest diesbezüglich etwas verkleinern könnten.
Mit freundlichen Grüßen,
Sarah Wiener, Uckermark, Deutschland, per Email
Liebe Sarah,
aus dem gleichnamigen Hermann-Leopoldi-Schlager und der böhmischen Mehlspeisküche kennen wir die Podwidltatschkerln (taštičky s povidly), mit Pflaumenmus (Powidl) gefüllte Teigtaschen aus Erdäpfelteig. Powidl, die Fülle, wird aus Pflaumen- (Wienerisch: Zwetschgen-)mus gemacht, im Gegensatz zu aufgzuckerter und gelierter Marmelade unter langem Rühren, nur durch Einkochen. Traditionell in Steinguttöpfen aufbewahrt hält sich Powidl über Jahre. Nach Expertise tschechischer Sprachforscher soll das Mehrzahlwort von povidla, povidlí kommen, das im Tschechischen seit dem 14. Jahrhundert bezeugt ist, und das auch im Polnischen (powidła) und Ukrainischen (povydlo) zirkuliert. Es soll vom Verb (po-)vít „winden“, soviel wie „rühren, mischen“ kommen, etwas flott könnte man Povidl also mit Mischerei übersetzen.
Ist das nun jenes Wienerische „povidl“, das wir verwenden, um anzudeuten, etwas sei uns egal, wurscht? Nicht ganz. Powidl im Sinne von Quatsch, Quargel, Motschga zielt wohl auf das breiartige seiner Konsistenz und dient als Synonym für Unsinn, Gelaber. Tatsächlich dürfte die Zweitbedeutung von powidl, egal, vom tschechischen Verb pověděti, povědíti (erzählen) kommen. Das Wienerische hat daraus povedalen gemacht, Unsinn reden, und eine Reihe weiterer Pejorative für böhmisch-tschechische Migranten. Das Bowidllandl ist Böhmen, die Bowidlbappm das tschechische Gesicht, der Bowidlhengsd der Angestellte eines Lebensmittelgeschäftes.
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