Blumen des Bösen

„Bist Du mir noch böse?“, lautet eine zentrale Frage des gelernten Österreichers (die Österreicherin und das österreichische Kind sind immer mitgemeint). Die Frage nach der Aktualität des Böseseins gehört zum vertrauten Instrumentarium des heimischen Miteinanders. So versöhnlich die Frage klingt, so dunkel sind die Abgründe, die sie hervorbringt. Um sie zu stellen (und sie wird oft gestellt) braucht es den Anlass, die zwischenmenschliche Österreichkomponente des Aufjemandenböseseins.

Stets ist nämlich jemand auf wen anderen böse, der auf den, die auf jene, diese auf die dort. In bester Übung ist man gruppenweise böse auf einzelne, oder allein auf mehrere. Besonders böse ist man auf Nahestehende, Brüder, Schwestern, Onkel, Tanten, Neffen, Nichten, noch öfter auf Vater oder Mutter, gerne auch auf beide. Selbstredend sind Eltern aller Art auf den Nachwuchs böse, auf Kinder, Kindeskinder und wenn man es bis dahin geschafft hat, auf Kindesenkel. Große Attraktoren des Böseseins sind Nachbarn, Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen und besonders: Ehemalige aus der Kohorte der Lebensabschnittspartner. Was für das kleine Miteinander des Österreichischseins gilt, trifft in galoppierndem Ausmaß auf Vereine und Parteien zu. Kaum eine Ideengemeinschaft ist gut mit einer anderen. Gutsein ist verdächtig.

Können wir der Einteilerei in Freund und Feind entkommen? Selbstverständlich nicht. Ein Entkommen wäre der Verlust sämtlicher Aspekte des Österreichischseins. Es gäbe nur mehr Freundlichkeit und Verständnis, Liebe und Zuneigung, Achtsamkeit und Solidarität.

Welch böse Welt.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 20. August 2022.

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