An die p.t. Leser·innenschaft

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 28/2022 zum 13. Juli 2022

Liebe Frau Andrea,
verehrungswürdige Comandantina, jetzt habe ich auch einmal eine Frage: In alten Briefen, vor allem amtlichen, aber auch auf Hinweisschildern etc., findet sich oft die Abkürzung „p.t.“. Was versteckt sich hinter diesen beiden Buchstaben und bis wann war dieses Kürzel in Verwendung?
Liebe Grüße,
Josef Herrmann, Wien Landstraße, per Email

Lieber Josef,

der heutige Schriftverkehr hat sich weitgehend von historischen Gepflogenheiten gelöst. Das IKEA-Du ist aus Skandinavien zu uns geschwappt, angelsächsisch geprägte Formelfreiheit dominiert die Email-Korrespondenz. Titel wie Dr., Mag., Dipl. Ing., Hofrat und Professor sind aus den Anreden verschwunden, das Hallo dominiert, Sehr Geehrtes befindet sich in Entsorgung.

Das ist keine neue Entwicklung. In einer auf Standesunterschiede gebauten Gesellschaft war die richtige Anrede Teil einer Distinktionskultur, die in der Barockzeit Galopp aufnahm, bis sie am Ende der Monarchie vom Pferd fiel und heute nur mehr von der Spitzendiplomatie verstanden (und rudimentär gepflegt) wird. Briefliche Anreden und Widmungsformeln wie „Ihro Majestät“, „Allerdurchlauchtigster, allergnädigster Kaiser und Herr“, „Kaiserliche Hoheit“, „Durchlauchtigster Prinz“, „Fürstliche Gnaden“, „Heiligkeit“, „Excellenz“, „Eminenz“, „Erlauchter Reichsgraf“, „Hochgebietender Herr General“, „Hochwohlgeborener Freiherr (oder Ritter)“, „Gnädiger Herr“, „Theuerster Vater“, „Geliebte Mutter“, „Schätzbarster verehrter Freund“ waren lange Zeit Teil der Begegnungskultur.

Um selbige in öffentlichen Kundmachungen und Publikationen zu vermeiden, wurden generalisierende lateinische Abkürzungen ersonnen: „s.t.“ (salvo titulo) und „s.t.deb.“ (salvo titulo debito) kodierten für „ohne jemandes Titel zu nahe zu treten“, kürzere Formeln waren „t.“ oder „tit.“ (titulo), sodann „t.t.“ oder „tot.tit.“ (toto titulo). Schließlich setzte sich „plen.tit.“ oder „p.t.“ (pleno titulo) durch. Es bedeutete „mit vollständigem Titel“ oder wie ein 1787 erschienener Korrespondenzratgeber erläuterte: „Dessen vollständigem Titel ich durch Auslassung desselben nichts benommen haben will“. Grüß Gott.


comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „An die p.t. Leser·innenschaft“

  1. Und ich dachte in Erinnerung an den längst verflossenen Latein-Unterricht, das bedeute „praemisso titulo“, also alle Titel voraus geschickt.

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