Wie lang ist der Brade Weg?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 27/2022 zum 6. Juli 2022

Liebe Frau Andrea,
letztes Wochenende wanderten wir mit Freunden ganze 18km durch die wunderschöne Landschaft zwischen Maria Taferl und der Donauschlinge Ybbs Persenbeug. Ein langer, auf wienerisch würden wir sagen „a brada [breiter], Weg“. Wie kommt es, dass aus einem langen ein breiter Weg wird? Wie würde sich jemand, des Wienerischen nicht mächtig, diesem Ausdruck nähern? Zuerst müsste brad in breit übersetzt werden, um dann aus dem Kontext zu schließen, dass der Weg keineswegs breit, vielleicht sogar schmal, dafür aber lang war. Welche etymologischen Kurven mussten genommen werden, um diese Bedeutungsumkehr zu erzeugen?
Günther Jörg, Perchtoldsdorf, per Email

Lieber Günther,

blicken wir zurück in eine Zeit vor der Motorisierung des Straßenverkehrs. Auch Fahrräder gab es noch nicht, vielleicht schon das eine oder andere Laufrad eines exzentrischen Herrn von Stand. Der Fernverkehr war auf schwere Fuhrwerke angewiesen, von Pferden gezogen, oder von den viel stärkeren Ochsen. Kavallerie und Meldereiter ritten, Aristokraten und begüterte Bürger saßen in Kutschen, etwas weniger Betuchte allenfalls in der Postkutsche, Marktfieranten auf dem Wagen. Der Rest ging (wienerisch: hatschte). Gereist und gewandert wurde vom Hof aufs Feld,  in den Wald, zum Markt. Schulwege waren lang.

Fuhrwerker und Händler (und die Heere) brauchten Fernwege. Je wichtiger solch eine Straße war (je größer die Zentren, die sie verband) desto mehr Verkehr zog sie an. Fernstraßen waren breiter als die Wege zwischen den Dörfern oder auf die Felder hinaus, Fuhrwerke sollten einander begegnen können, ohne auszuweichen, allenfalls lansamerer Gefährte überholt werden. Eine wichtige Straße war also ein breiter (brada) Weg. Manche davon, wie die Bernsteinstraße existierten schon in prähistorischer Zeit.

Der bradaste (breiteste) Weg in Wien war die Landstraße nach Ungarn, heute Landstraßer Hauptraße genannt, wohl auch, weil hier die enormen Ochsenherden aus Ungarn nach Westen getrieben wurden. Das Bild des breiten (braden) Wegs war mit dem des langen, beschwerlichen verbunden und wurde zum Synonym für die Anstrengung, die Mühe selbst.


comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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