Wann immer es Unklarheiten über Österreichs Prioritäten gibt, hilft ein literarischer Blick auf das Lied der Lieder, die österreichische Bundeshymne. Die Berge genießen dort allerhöchstes Ansehen, gefolgt vom Strome (gemeint ist die Donau, weniger die Elektrizität). Sodann rühmt Paula Preradović‘ Landes-Chanson die Äcker und erst dann, weil reimtechnisch zwingend: Die Dome. Mit Hämmern ist die Großindustrie gemeint, reich ist die Zukunft, selbstredend Heimat großer Söhne und Töchter. Von Straßen, Pässen und Tunnel ist nicht die Rede, in neue Zeiten wird geschritten, weder gefahren noch geritten. Der Verkehr hat es schwer im Transitland Österreich. Wer durchfahrt, kauft nichts ein.
Die österreichische Seele hat sich dem Dilemma durch Ausflucht ins Metaphysische entzogen. Die Insel der Seligen (so Papst Paul VI. zu Bundespräsident Franz Jonas) hat keine Häfen. Der österreichische Weg führt immer am Ziel vorbei, stets wird er zu früh beschritten (oder zu spät). Dabei vermeidet er niemals das Dickicht, quert die Sümpfe, auch wenn sie tief sind. Er schlängelt sich in der Ebene, steile Anstiege werden bevorzugt. Und wo immer es geht, wird die falsche Abzweigung genommen. Eine zeitlang taumelten wir die Fußstapfen Deutschlands nach, dann wieder schweitzerten wir, oder schwedeten nur herum, und kurz waren wir sehr postheroisch: Visegrád.
Die großen Schnitzellandversteher Gerhard Bronner und Helmut Qualtinger haben den österreichischen Weg im „Wilden mit seiner Maschin“ treffsicher besungen: „I hob zwoar ka Ahnung wori hinfoahr, owa dafir bin i gschwinda duat!“
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 2. Juli 2022.